Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
durch den Manager. Erhellend ist dafür eine Erfahrung des Soziologen Donald Roy, der sich anfangs der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Drehbankschlosser einer Maschinenfabrik verdingte, die ihre Schlosser nach Stückakkord bezahlte, beginnend mit einer Basisrate, die bei Erreichen einer gewissen höheren Akkordstufe erhöht wurde, ab einer nächsten dann nochmals – und Schluss. Aus Sicht der Arbeiter war die Festsetzung dieser Schwellen entscheidend. Wenn sie zu intensiv oder zu schnell arbeiteten, würde die Schwelle zur nächsten Akkordstufe erhöht werden – die Fabrik wollte den Schlossern schließlich keine Extras für ein normales Arbeitspensum zahlen. Was – wen wundert’s? – dazu führte, dass die Schlosser ihren Ausstoß einschränkten und langsamer arbeiteten, als möglich gewesen wäre. Statt sich alle Mühe zu geben, möglichst produktiv zu sein, verwandten sie viel Zeit auf Überlegungen, wie sie den Akkordlohn manipulieren könnten, damit sie so viel wie eben möglich verdienten. Donald Roy gab seinem Bericht die bezeichnende Überschrift: »Goldbricking in a machine shop« [»Drückebergerei in einer Maschinenwerkstatt«].
Es ist das gleiche Phänomen, das auch im Rahmen von Leistungs- und Bilanzvorgaben in Großunternehmen zutage tritt. Professor Michael C. Jensen von der Harvard Business School umriss es folgendermaßen: Wenn man einem Manager erklärt, dass er beim Erfüllen von Planvorgaben eine Bonuszahlung erhält, wird zweierlei geschehen. Zunächst einmal wird er versuchen, die Planziele so zu setzen, dass sie leicht erreichbar werden – indem er die Schätzungen für das folgende Jahr herunterspielt und die Chancen schlecht redet, dass sie erfüllt werden können. Sind die Zielvorgaben einmal gesetzt, so wird er, zweitens, alles daransetzen, sie zu realisieren – indem er unter anderem zu buchhalterischen Tricks greift, welche die Ergebnisse für dieses Jahr zu Lasten der Zukunft aufbessern. (Man denke hier nur einmal an das Verhalten von CEOs gegen Ende des vorigen Jahrzehnts angesichts des Erwartungsdrucks, dem sie seitens der Wall Street ausgesetzt waren.) Infolgedessen bezahlen laut Jensen »Unternehmen Menschen fürs Lügen«. Für die Erstellung von Zukunftsplänen sind Unternehmen auf solide Informationen angewiesen; aufgrund ihrer Organisationsweise bekommen sie ebendiese Informationen aber gerade nicht.
In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich der unterschiedlichen Informationsbeschaffung durch Unternehmen und Märkte erhellend. Unternehmen bezahlen Menschen tendenziell nach der Maßgabe, ob sie tun, was von ihnen erwartet wird. In einem Markt dagegen werden Menschen einfach auf Grundlage dessen bezahlt, was sie tatsächlich schaffen. Der Eigentümer eines Delikatessengeschäfts macht schließlich nicht mehr Reibach, wenn er zum 31. Dezember feststellt, dass der Jahresumsatz seine Erwartungen überstiegen hat. Er verdient einfach so viel, wie er tatsächlich verdient – das müsste eigentlich auch für Großunternehmen gelten.
Die Anreize, die hierarchisch gegliederte Unternehmen bieten, verleiten Angestellte zur Verheimlichung und Vortäuschung von Informationen. In einem Markt haben Geschäftsleute dagegen Veranlassung, wertvolle Informationen aufzudecken und danach zu handeln (so etwa Informationen, welche Art Turnschuhe von den Kids im bevorstehenden Sommer favorisiert wird oder welches Stereogerät einen besonders vorteilhaften Kauf darstellt). Und sobald sie eine Information aufgespürt haben, wird sie in gewissem Sinne öffentlich. Darin liegt ja eben eine wesentliche Wirkung von Märkten: Menschen sowohl zum Suchen nach wertvollen Informationen als auch dazu zu motivieren, diese Informationen dann allgemein publik zu machen. Genau darum sollten auch Unternehmen sich bemühen – ihren Angestellten Anreize zu bieten, selbst Informationen zu erlangen und dann diesen gemäß aktiv zu werden.
Ein Mittel, das von Unternehmen seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend eingesetzt wird, um die persönlichen Interessen der Beschäftigten mit Unternehmensinteressen zu verknüpfen, sind natürlich die Belegschaftsaktiensysteme, die Arbeitnehmer – das war jedenfalls der Sinn der Idee – am wirtschaftlichen Wohlergehen ihrer Firma Anteil nehmen lassen. Und sofern solche Aktienbezugsrechte einem großen Prozentsatz der Beschäftigten – statt lediglich einigen wenigen Spitzenmanagern – zugute kommen, haben sie sich offenbar wirklich positiv ausgewirkt. Die
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