Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
für eine effiziente Unternehmensarbeit essentiell. Statt anzunehmen, dass alle Probleme nach oben weitergeleitet und die Lösungen dann wieder von oben nach unten durchgegeben werden müssen, sollten Unternehmen davon ausgehen, dass, wie im Markt, auch bei ihnen Personen mit Vor-Ort-Wissen oft am besten geeignet sind, eine praktikable, wirksame Lösung zu finden. Die Vorzüge von Spezialisierung und Kenntnissen vor Ort überwiegen häufig die Managementexpertise.
Zu diesem Punkt wird zwar in vielen Unternehmen viel Vernünftiges gesagt, doch ist eine echte Einbeziehung der Beschäftigten bis heute eine Seltenheit. (Nach Schätzung von Blasi und Kruse werden von höchstens zwei Prozent der amerikanischen Unternehmen »Hochleistungs-Arbeitsmethoden« ernsthaft genutzt.) Dabei ist die positive Wirkung einer Dezentralisierung mehr als hinreichend belegt – nicht nur in den im Verlauf dieses Buches diskutierten Untersuchungen, sondern auch durch praktische Unternehmensresultate weltweit. In jüngster Zeit legten Nitin Nohria, William Joyce und Bruce Johnson eine umfassende Untersuchung über gut funktionierende Unternehmen vor und gelangten zu folgendem Resultat: In den besten Unternehmen »waren die Beschäftigten und Manager zu erheblich mehr Eigenentscheidungen ermächtigt und zur Suche nach Optimierungsmöglichkeiten ihrer persönlichen wie der Tätigkeit des Unternehmens ermutigt«.
Eine Dezentralisierung hat zwei Vorteile. Zum einen arbeiten Menschen umso engagierter, je mehr Verantwortung sie für ihr eigenes Umfeld tragen. In einer klassischen Untersuchung zu diesem Thema wurden zwei Gruppen in getrennten Räumen mit dem Lösen von Puzzles und Korrekturlesen beauftragt, während im Hintergrund laufend willkürlich laute Geräusche ertönten. Die erste Gruppe wurde damit allein gelassen, während die zweite die Möglichkeit erhielt, die Geräusche durch einen Knopfdruck auszuschalten – die zweite Gruppe schaffte die fünffache Anzahl Puzzles und übersah beim Korrekturlesen erheblich weniger Fehler, obwohl sie den Knopf nie gedrückt hat. Entscheidend war, dass ihr der Knopf zur Verfügung stand. Das Resultat ist durch zahlreiche andere Studien bestätigt worden: Allein die Chance, die Arbeitsbedingungen selbst zu gestalten, führt zu beträchtlicher Leistungssteigerung.
Zum zweiten erleichtert eine Dezentralisierung die Koordination. Statt dauernd auf Anweisungen und Androhungen zurückgreifen zu müssen, können Unternehmen darauf bauen, dass ihre Beschäftigten neue, rationellere Arbeitsmethoden finden werden – was weniger Aufsicht erfordert, die Transaktionskosten reduziert und es Managern gestattet, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Als Paradebeispiel solcher Organisationsform gilt das Produktionssystem von Toyota (TPS) mit seiner Ausgangsidee, dass die Beschäftigten der ersten Linie in vielen Berufsbelangen ausgebildet werden und den Ablauf des Produktionsprozesses von ihrer Basis her verstehen sollten, damit sie die eigene Tätigkeit im Sinne des Unternehmens optimal durchführen können. In diesem Sinne wurde bei Toyota auch das traditionelle Fließband aufgegeben, an dem jeder Arbeiter, von seinen Kollegen isoliert, häufig nur mit der Montage eines einzigen Autoteils befasst war. Stattdessen wurden Teams mit Verantwortung für den eigenen Produktionsbereich gebildet. Jeder Beschäftigte kann dort, wenn er bemerkt, dass etwas nicht richtig läuft, eine Schnur ziehen und so das Fließband zum Stillstand bringen. Allerdings wird diese Schnur selten benutzt. Es ist hier wie bei dem Knopf im oben erwähnten Experiment: Es genügt einfach schon, dass er vorhanden ist.
Das Konzept der Dezentralisierung ist vor allem in einem Punkt scharf kritisiert worden. Selbst wenn Arbeiter und ihre unmittelbaren Vorgesetzten mehr Befugnisse über ihr direktes Umfeld erhielten, hieß es, würde die eigentliche Macht doch weiterhin beim Topmanagement verbleiben. Dass die Beschäftigten härter arbeiten, wenn ihnen mehr Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Arbeitsbedingungen eingeräumt wird, wäre demgemäß keine interessante positive, sondern eine deprimierende Entwicklung – sie könnte zum Aufbau einer bloßen Fassade führen, mittels derer die Arbeiter betrogen werden. So hat beispielsweise der Managementtheoretiker James Hoopes in seinem vor kurzem erschienenen Werk False Prophets darauf hingewiesen, dass Befürworter einer mehr demokratisch strukturierten Kapitalgesellschaft sich entweder selbst
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