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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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etwas vormachen oder aber einen probaten Deckmantel für Führungskräfte liefern, die, wenn es wirklich darauf ankommt, das letzte Wort haben werden. Laut Hoopes gehört hierarchisches Machtdenken zum wesentlichen Kern der Unternehmen; es eliminieren zu wollen sei vergebene Liebesmüh.
    Bei alledem ist jedoch ein besonderer Aspekt anzumerken. Dezentralisierte Märkte funktionieren außergewöhnlich gut, weil die Marktteilnehmer von den Kunden ein ständiges Feedback erhalten. Firmen, die keine guten Leistungen erbringen oder zu teuer operieren, lernen ihre Lektion oder gehen Pleite. Ein direktes Feedback des Marktes spielt in Großunternehmen nicht hinein. Die einzelnen Abteilungen können zwar bezüglich ihres Leistungsvermögens Informationen einholen, der einzelne Beschäftigte jedoch wird für seine individuelle Leistung nicht belohnt (beziehungsweise bei mangelhafter Leistung nicht bestraft). Und wenngleich Konzernbudgets eigentlich das Urteil des Marktes über die einzelnen Unternehmensbereiche reflektieren sollten, herrschen da oft politische Gesichtspunkte vor. Insofern sind die Abteilungen natürlich darauf aus, vom Konzern mehr Ressourcen zu erhalten, als sie verdienen, selbst wenn es dem Gesamtunternehmen schadet. Ein typischer Fall für eine solche Praxis war Enron. Dort wurde jede Abteilung wie eine Insel geführt; jede hatte ihre eigenen Topmanager; jede Abteilung durfte sogar ihre eigene Informationstechnologie aufbauen oder kaufen – mit der Folge, dass viele Abteilungen nicht miteinander zu kommunizieren vermochten und, selbst wenn sie dazu in der Lage waren, Enron viele Dollarmillionen für eigentlich überflüssige Systeme draufzulegen hatte.
    Arbeiter und Angestellte dürfen also nie vergessen, dass sie für das Unternehmen, nicht aber für eine seiner Abteilungen tätig sind. Auch hier beschritt Enron den Weg in die umgekehrte Richtung. Dort forcierte man den Wettbewerb zwischen Abteilungen und hielt sie förmlich dazu an, talentierte Mitarbeiter, Ressourcen und sogar Betriebsanlagen von ihren Kollegen im Unternehmen zu stehlen. Es ruft Erinnerungen an die schlimmen alten Tage bei General Motors wach, als die Rivalitäten zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen oftmals größer waren als jene zu externen Konkurrenten. Der Vorstandsvorsitzende von General Motors skizzierte die damalige Verfahrensweise des Konzerns bezüglich der Entwicklung und Herstellung von Automobilen einmal folgendermaßen: »Da haben Typen [in der Entwicklungsabteilung] eine Karosserie gezeichnet und den Entwurf [an die Produktion] rübergeschickt und dem Typen dort erklärt: ›Nun bau das mal, wenn du kannst, du Arschloch.‹ Und der Typ [in der Montage] hat daraufhin gesagt: ›Herrgott noch mal, so kann man Metall überhaupt nicht stanzen; und es ist total unmöglich, die Sachen so zusammenzuschweißen. ‹«
    Die positiven Folgen des Wettbewerbs sind unbestreitbar. Massive interne Rivalitäten aber unterminieren den Zweck eines Unternehmens mit einer formalen Struktur, indem sie die Größeneffekte verringern und die Kosten der Beaufsichtigung des Arbeitsverhaltens der Beschäftigten noch erhöhen. Man sollte den Mitarbeitern mehr trauen dürfen als den Kollegen in anderen Firmen. In einem Konzern wie Enron war es umgekehrt. Und weil der Wettbewerb innerhalb eines Unternehmens ohnehin ein künstlicher ist – man konkurriert ja miteinander nicht auf dem Markt, sondern um eine interne Ressourcenzuteilung -, sind die vermeintlichen Effizienzgewinne illusorisch.
     
    Auch wenn viele Unternehmen de facto noch immer eher der alten Ford Motor Company ähneln als Toyota oder dem Stahlhersteller Nucor – bei Nucor existieren lediglich vier Managementebenen: Vorarbeiter, Abteilungsleiter, Werksdirektoren und der Vorstandsvorsitzende -, ist den meisten leitenden Angestellten zumindest bekannt, dass eine Dezentralisierung der Verantwortung und der Entscheidungsbefugnisse die alltägliche Funktionsweise eines Unternehmens positiv verändern kann. Das gilt in noch höherem Maße, seit sich der Charakter der Arbeit für die meisten Amerikaner verändert hat. An einem altmodischen Fließband war die von oben gesteuerte Koordinierung der Arbeitsabläufe möglicherweise die beste. (Dem widerspricht freilich die Optimierung der Automobilherstellung bei Toyota.) Doch in Dienstleistungsunternehmen, deren Wert auf geistiger Arbeit beruht, wird eine Behandlung der Angestellten als kleine Rädchen im großen Räderwerk des Betriebs

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