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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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im Sommer 1998 die Sache aus dem Gleis geriet. LTCM hatte sein Geschäftsmodell auf der Basis des Gedankens entwickelt, dass die Preise für Wertpapiere wie dänische Hypotheken-Pfandbriefe stets auf das Niveau ihres wahren Wertes zurückfinden. Eine solche Strategie kann aber nur unter der Voraussetzung funktionieren, dass überhaupt jemand am Kauf von dänischen Hypotheken-Pfandbriefen interessiert ist, wenn ihr Wert abstürzt. Und im Sommer 1998 war keine der Personen, die diese Pfandbriefe als interessante Anlage empfunden haben könnten, an einem Kauf interessiert. Da in diesem Kreis die Geschäftsmethoden von LTCM geläufig waren, reichte allein die Tatsache, dass LTCM die Pfandbriefe verkaufen wollte, um sie nicht zu kaufen. Was LTCM damals gebraucht hätte, waren Investoren mit anderem Risikoverständnis. Doch im Sommer 1998 schienen sämtliche Anleger – zumindest all jene, mit denen LTCM zu tun hatte – nach dem gleichen Muster gestrickt zu sein. Besonders auffällig war dann, dass die Preise der verschiedenen Werte, die LTCM besaß, plötzlich alle miteinander in Zusammenhang gesetzt wurden, das heißt, sie bewegten sich in der gleichen Richtung, obwohl es dafür keinen Anlass gab. Grob ausgedrückt: In jenem letzten Monat genügte das Bekanntwerden der schlichten Tatsache, dass LTCM einen Vermögenswert besaß, und schon sackte er ab.
    Wäre LTCM mehr Zeit geblieben, so hätte es sehr wohl überleben können. Viele, wenn auch nicht alle der von ihm aufgenommenen Posten waren gut, und die Wall-Street-Banken, die LTCM übernahmen, machten am Ende doch noch ihren Gewinn. Die Tatsache, dass LTCM langfristig gesehen richtig lag, spielte jedoch keine Rolle. Wenn Ende September 1998 jeder gewusst hätte, dass die dänischen Hypotheken-Pfandbriefe schon ihren Wert hatten, wäre der Preis nicht so gefallen und hätten sich Käufer eingestellt. Aber keiner konnte sich ein Bild davon machen, wie lange die abgestürzten Preise unten blieben oder die Krise andauern würde. Und weil LTCM so stark mit Krediten jonglierte, war der Spielraum für Irrtümer eng; denn jeder Fehler kam LTCM entsprechend teuer zu stehen.
    Es ist eine Binsenweisheit, dass Kapitalmärkte abwechselnd von Angst und von Habsucht beherrscht werden. Am solidesten sind Märkte, die gleichzeitig von Angst und Gier angetrieben werden. Um eine Selbstverständlichkeit auszusprechen: Ein Käufer beurteilt die Zukunftschancen einer Aktie anders als der Verkäufer. Ersterer glaubt, dass sie im Wert steigen, Letzterer, dass sie an Wert verlieren wird. Recht behalten wird aber nur einer von beiden. Ausschlaggebend ist jedoch, dass der Markt durch die Interaktion solch unterschiedlicher Einstellungen einen sinnvollen Weg zur Verteilung von Kapital finden kann. LTCM betreffend waren unterschiedliche Einstellungen nicht existent. Alle dachten das Gleiche, weil die Gruppe der Entscheidungsträger zu klein und zu anfällig war, um sich gegenseitig imitieren zu dürfen. Dabei hatte es nichts zu bedeuten, wie intelligent jeder Einzelne war. Schlussendlich waren sie zu gleichartig, um gescheit zu sein.

4
    Der größte Börsenschwindel der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts begann in einem heruntergekommenen Truthahnstall in der Kleinstadt Pearl River, US-Bundesstaat New York. Der Stall gehörte Gottfried Schmidt, einem Ingenieur und Modellhersteller, der überdies ein begeisterter Besucher von Bowlingbahnen war. Im Jahr 1936 begann Schmidt sich darüber zu ärgern, dass er niemanden fand, der ihm die Bowling-Pins aufstellte, wenn er nach Arbeitsschluss ein paar Runden spielen wollte. Damals mussten die Kegel noch manuell aufgestellt werden. Schmidt hatte die Idee, dass sie maschinell schnell und präzise aufgestellt werden könnten. Daraufhin bildete er mit zwei Automechanikern und einem anderen Ingenieur ein Team und machte sich mit ihnen im Truthahnstall hinter seinem Wohnhaus an den Bau des ersten automatischen Kegelaufstellers. Es war noch die Zeit der Weltwirtschaftskrise, sodass diese Erfinder sich mit Altmetallstücken, Fahrradketten und Gebrauchtwagenteilen begnügen mussten. Nach einem Jahr hatte Schmidt ein einigermaßen funktionierendes Modell beisammen und ließ es sich patentieren.
    Nun trat Morehead Patterson auf, seines Zeichens ebenfalls Hobbyerfinder, aber auch Direktor bei American Machine and Foundry (AMF), einem Unternehmen, das auf die Herstellung von Maschinen für das Bäcker- und Tabakgewerbe spezialisiert war, jedoch nach

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