Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
erwirtschaften.
Ob Pfizer das schaffen wird, ist jedoch äußerst schwierig zu ermessen. Man bedenke nur die vielen Faktoren, welche die Geschäfte des Konzerns in den nächsten 20 Jahren beeinflussen werden: die neuen Medikamente, die er entwickeln (oder eben nicht entwickeln) wird; die Arzneimittel, welche die Konkurrenzunternehmen entwickeln (oder nicht entwickeln) werden; Veränderungen der Arzneimittelbestimmungen, im Gesundheitsund Krankenversicherungswesen; Wandlungen der Lebensgewohnheiten und in der generellen Einstellung zu Pharmaprodukten; das Fortschreiten der Globalisierung und so weiter. Außerdem ergeben sich Fragen zum Unternehmen selbst, beispielsweise: Wird es in fünf Jahren noch vom selben Management geführt werden? Wie viele potenziell erfolgreiche Arzneimittel befinden sich derzeit in Vorbereitung? Werden auch in Zukunft herausragende Wissenschaftler für Pharmakonzerne tätig sein wollen, oder werden sie lieber für Biotech-Firmen arbeiten? Stattet der Vorstandsvorsitzende die Abteilung für Forschung und Entwicklung hinreichend mit Kapital aus und dergleichen mehr. Schließlich sind da auch noch die harten Fakten der Bilanzen zu bewerten. Wie wird sich die Einschätzung der Zukunftsfaktoren durch die Anleger auf sie auswirken? Erst wenn man das Resultat all dieser Überlegungen auf die nächsten 15 oder 20 Jahre projiziert, wird sich eine Zahl ergeben, die Pfizer auf die gleiche Weise bewertet, wie es der Aktienpreis tut. Wenn wir in zwei Jahrzehnten zurückblicken und behaupten könnten, dass unsere Beurteilung korrekt gewesen sei, käme es einem Wunder gleich.
Damit soll nicht gesagt werden, es sei unmöglich vorherzusagen, wie ein Unternehmen sich über die nächsten anderthalb Jahrzehnte entwickelt – wohl aber: Es ist verdammt schwierig. Vor einer Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Marktes sollten wir uns also in Erinnerung rufen, was er eigentlich zu leisten hat. Der Wirtschaftswissenschaftler Fischer Black konstatierte einmal, dass nach seiner Auffassung der Markt als effizient betrachtet werden kann, wenn die Aktienpreise im Rahmen von 50 bis 200 Prozent des realen Unternehmenswertes liegen. (Läge der reale Wert eines Konzerns bei 10 Milliarden Dollar, so würde der Markt Fischer Black zufolge also gut funktionieren, wenn er den Konzern nie unter 5 Milliarden und nie über 20 Milliarden Dollar taxierte.) Auf den ersten Blick wirkt eine solche Aussage absurd. In wie vielen Positionen dürfte man das Ziel um 100 Prozent verfehlen und würde dann noch immer als verlässlich gelten?
Doch hier geht es um den Versuch einer zwei Jahrzehnte unsicherer Zukunft umfassenden Prognose. Ist in dem Zusammenhang eine Abweichung um 100 Prozent wirklich so ungenau? In Bezug auf korrekte Marktprognosen lautet die entscheidende Frage natürlich: »Korrekt im Vergleich wozu?« Um 100 Prozent danebenzuliegen – und, seien wir mal ehrlich, Aktienwerte liegen im Allgemeinen wohl eher weniger daneben – ist nicht eben toll, aber bestimmt besser als um 300 Prozent. Der Kerngedanke der These von einer Weisheit der Masse besteht nicht darin, dass eine Gruppe stets mit der richtigen Antwort, sondern dass sie im Schnitt konsequent mit einer besseren Antwort aufwartet, als irgendein Einzelner es vermöchte. Darum ist die Tatsache, dass nur ein winziger Bruchteil der Anleger durchgehend richtiger liegt als der Markt, der bis heute kräftigste Beweis für die Leistungsfähigkeit des Marktes – insbesondere wenn man bedenkt, dass die meisten Anleger lediglich eine kleine Auswahl von Aktien zu bewerten suchen, während der Markt den Preis für über 5000 Aktien zu bestimmen hat.
Trotzdem zapfen Märkte die Weisheit der Masse nur auf eine sehr unvollkommene Weise an. Der Wirtschaftswissenschaftler Robert Shiller vermochte überzeugend nachzuweisen, dass Aktienpreise sehr viel häufiger heftigen Schwankungen ausgesetzt sind, als Veränderungen des realen Wertes von Unternehmen dies rechtfertigen würden. Auf den Wettmärkten oder den internen Märkten von Iowa (IEM) fallen Meinungsschwankungen dezidiert milder aus; ein völliger Meinungsumschwung kommt dort nur ganz selten vor. Beim Football, bei Wahlen, einem Fernsehquiz oder bei einer Google-Suche gibt es eine klare Antwort, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ein für alle Mal feststeht. Wer bei einer Rennwette auf ein Pferd setzt, weiß, ob er gewonnen oder verloren hat, sobald das Rennen vorbei ist; es macht überhaupt keinen Sinn, darüber zu
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