Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Diversifizierungsmöglichkeiten suchte. Patterson erkannte, dass Schmidts Erfindung mit richtigem Marketing den Bowlingbahnbetrieb revolutionieren könnte. Da Bowlingbahnen so genannte »Kegeljungs« benötigten, konnten sie immer nur eine begrenzte Anzahl Bahnen betreiben. Außerdem war es so, wie Andrew Hurley in seinem Buch Diners, Bowling Alleys and Trailer Parks ausführt, dass das Verhältnis zwischen Kunden und Kegelboys bestenfalls gespannt war. Sozialreformer geißelten Bowlingbahnen als Lasterhöhlen. Diese Etablissements waren mit Billardsalons vergleichbar, allerdings lärmiger. Ein automatischer Pinaufsteller würde Ordnung und mechanische Präzision in die Kegelbahnen bringen; damit waren Expansion und eine gesellschaftliche Aufwertung möglich. Mit diesem Gedanken reiste Patterson nach Pearl River, fand Schmidt in seinem Truthahnstall und bot ihm einen Job an. Schmidt wurde bei AMF angestellt, die Firma exklusiver Nutznießer des Patents.
Ohne den Zweiten Weltkrieg wäre der automatische Pinaufsteller möglicherweise schon Anfang der Vierziger auf den Markt gekommen. So aber produzierte AMF fürs Erste Kriegsgüter. Als 1946 dann der erste Aufsteller gelang, hatte er noch ein paar Schwachpunkte, die es zu beseitigen galt. Das erste funktionierende Modell wurde schließlich 1951 auf einer Kegelbahn in Mount Clemens im Bundesstaat Michigan in Betrieb genommen.
Es schlug auf eine Weise ein, die alle Erwartungen Pattersons übertraf. Die Bowlingbahnen mutierten von schäbigen Spelunken zu Traumpalästen. Und weil die Maschinen tatsächlich schneller und leistungsfähiger als die Kegeljungs waren, gewann das Bowling an Rasanz und Anziehungskraft. Bowling avancierte zum idealen Familiensport, der auch den aufsteigenden Mittelstand faszinierte. Die Bowlingbahn erlangte den Ruf eines »Country Club des Volkes«. Ende der fünfziger Jahre gingen mehr als zehn Millionen Amerikaner mindestens einmal wöchentlich »bowlen«.
Der Boom zeitigte eine unerwartete Folge. Bowlingaktien wurden zum Liebling der Wall Street. Der Aktienwert der AMF und von Brunswick – eines weiteren Herstellers von Bowlingbahngeräten – stieg 1957/58 auf das Doppelte. Auch kleinere Hersteller wagten nun den Gang an die Börse. Investoren überschütteten die Branche geradezu mit Kapital. Man brauchte nur eine irgendwie mit Bowling verbundene Geschäftsidee zu haben, und schon floss das Geld. Überall in den USA entstanden Bowlingbahnen. 1960 waren es bereits 12 000 Anlagen mit insgesamt 110000 Bahnen. Alles in allem pumpten Anleger während des Bowlingbooms zwei Milliarden Dollar in die Branche – und das war damals wirklich ein Haufen Geld.
Die Wall Street heizte den Begeisterungstaumel nach Kräften an. Analysten prophezeiten, dass die Beliebtheit dieser Sportart künftig im gleichen Maße wie in den Fünfzigern weiterwachsen würde. Sie sagten voraus, dass bald jeder Amerikaner wöchentlich zwei Stunden auf einer Bowlingbahn anzutreffen sein würde. Charles Schwab, dessen Karriere an der Wall Street damals gerade begann, war begeistert: »Man rechne sich das mal aus – 180 Millionen Menschen mal zwei Stunden wöchentlich mal 52 Wochen im Jahr. Das bedeutet wirklich eine Menge Bowling.« Der Hype katapultierte die Aktien von Kegelfirmen weiter nach oben. Die Begeisterung für alles, was mit Bowling zu tun hatte, verselbstständigte sich.
Sie verselbstständigte sich zu Tode. Im Vergleich zu ihrem Höchststand hatten die Kegelaktien bis 1983 80 Prozent an Wert eingebüßt. Es brauchte nahezu ein Jahrzehnt, bis sie dieses verlorene Terrain halbwegs zurückerobern konnten. So populär wie in der Eisenhower-Zeit ist Bowling in Amerika nie wieder geworden. Heutzutage existieren nur halb so viele Bowlingbahnen wie vor 40 Jahren – obwohl die USA inzwischen 100 Millionen mehr Einwohner zählen.
Diese kurzlebige Hysterie für Bowlingaktien ist ein Beispiel für Börsenschwindel – für einen jener kleinen Schwindelanfälle, wie sie auf allen Märkten für Vermögenswerte, vor allem an Börsen, regelmäßig vorkommen. So war zum Beispiel eine von den Verheißungen des Atomzeitalters hypnotisierte Wall Street wenige Jahre zuvor in Uranaktien vernarrt. Mitte der Sechziger konnten Anleger gar nicht genug von Mischkonzern-Aktien kriegen. Außerdem gab es da die Miniseifenblase in Form der Aktien des Immobilienkonzerns Sky Homes, deren Wert 1969 um das Zwanzigfache anstieg. PC-Hersteller, Unternehmen der Biotechnologie, Immobilienfirmen
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