Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
Vom Netzwerk:
grübeln, dass die Wette sich beim nächsten Rennen als richtig erweisen könnte. Und Google weiß, wenn man einen Suchbegriff eingibt, ob es die gewünschte Seite gefunden hat oder nicht. So ist es auch bei vielen Finanzmärkten – wenn man Weizentermingeschäfte auf November tätigt, weiß man im November einfach, ob man zu viel bezahlt oder ein Geschäft gemacht hat.
    Solch eindeutiger Ausgang hat das große Plus, dass er die Masse auf dem Boden der Tatsachen hält. Märkte haben, wie wir noch sehen werden, unter anderem das Problem, dass sie einen fruchtbaren Nährboden für Spekulationen bilden. Spekulanten scheren sich nicht um Kalkulationen, ob die zukünftige Konzernleistung den momentanen Preis der Pfizer-Aktie rechtfertigt. Sie kaufen Aktien nicht, weil sie meinen, dass ihr Preis angemessen ist, sondern weil sie glauben, sie jemand anderem teurer weiterverkaufen zu können. Spekulanten geistern auf allen Märkten umher. Das Spekulieren ist jedoch schwieriger, wenn alle Welt weiß, dass der Markt in wenigen Wochen endet und dass ihr Gewinn und Verlust von der Genauigkeit ihrer Prognosen abhängen. Auf dem Aktienmarkt dagegen gibt es keine Art von Schlussmoment, keinen Zeitpunkt, an dem sich definitiv herausstellt, ob man richtig oder falsch liegt. Auch deswegen vermag die Aktie eines Unternehmens jede vernünftige Bewertung maßlos zu übersteigen, weil man sich immer vormachen kann, dass das Unternehmen aufgrund irgendwelcher künftiger Ereignisse einen solch hohen Wert repräsentiert. Und eben deswegen sind auf dem Aktienmarkt auch Gewinne möglich, selbst wenn man Aktien falsch einschätzt; denn wenngleich der Aktienmarkt den Preis schlussendlich richtig taxiert, kann der Aktienpreis über lange Zeit falsch sein; es gibt ja keine objektive Möglichkeit, um nachzuweisen, dass er falsch ist. Ob der Preis der Pfizer-Aktie am heutigen Tag angemessen ist, werden wir in 20 Jahren sicher wissen. Nur ist es vorläufig ohne Bedeutung. Genau das meinte John Maynard Keynes mit seiner Feststellung, dass Märkte länger danebenliegen können, als man in der Lage ist, solvent zu bleiben.
    Diese Lektion hat im Sommer 1998 eine kleine Gruppe Spezialisten vergessen und damit schließlich die Welt an den Rand einer Katastrophe gebracht. Die Spezialisten waren beim Long-Term Capital Management (LTCM) tätig, einem 1994 von John Meriwether gegründeten Hedgefonds; Meriwether hatte aufgrund seiner Geschicklichkeit als Wertpapierhändler den Status einer Wall-Street-Legende erlangt. Er hatte einen Haufen von Wall-Street-Genies angeheuert, die sich mittels Computern beim Aufspüren von Einnahmequellen als wahre Teufelskerle erwiesen hatten. Und er holte auch einige der Gründerväter des modernen Finanzwesens mit ins Boot. Myron Scholes und Robert Merton hatten das Modell erfunden, das inzwischen von Anlegern in aller Welt zur Bewertung von Optionen genutzt wird. Es war ein Traumteam, dem der Erfolg gewiss schien. Obwohl Investoren bei LTCM mindestens zehn Millionen Dollar anlegen mussten und ein Viertel der jährlichen Gewinne an die Manager des Fonds gingen, rissen sich die Leute darum, dabei mitmachen zu dürfen, insbesondere nachdem LTCM vier Jahre in Folge höchst eindrucksvolle Profite vermeldet hatte.
    Im August 1998 war dann jedoch plötzlich alles anders, als Russland seiner Verpflichtung zur Schuldenrückzahlung nicht nachkam. Die Anleger waren bereits wegen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der asiatischen Länder einige Monate zuvor nervös; der Zahlungsverzug Russlands löste nun eine massive Absetzbewegung in Richtung Güteaktien aus. Auf einmal wollte keiner mehr etwas haben, was nicht hundertprozentig sicher war, und alle hatten nur den einen Wunsch, alles abzustoßen, dem irgendein Geruch von Risiko anhaftete. LTCM saß auf Vermögenswerten in Höhe von Milliarden Dollar, die keiner kaufen wollte und deren Wert täglich weiter abstürzte. Es erlitt binnen weniger Monate Einbußen von 4,5 Milliarden Dollar, und als man im verzweifelten Bemühen, sich über Wasser zu halten, alles nur irgendwie Verkäufliche loszuschlagen suchte, rutschten die Preise noch tiefer nach unten. Wall-Street-Banken erlitten Verlust in Höhe von hunderten Millionen Dollar. Im September bildeten sie ein Konsortium, leisteten für den Fonds Sicherheiten und stellten ihm genügend Mittel zur Verfügung, um den Geschäftsbetrieb weiterführen zu können, bis die Lage sich wieder normalisiert hatte.
    Warum ist nun alles so schiefgelaufen?

Weitere Kostenlose Bücher