Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
Vom Netzwerk:
und noch einmal biotechnologische Unternehmen – sie alle waren während der vergangenen zwei Jahrzehnte Gegenstand eines Anlegerfiebers. Diese Seifenblasen blieben jedoch auf Teilbereiche des Aktienmarkts begrenzt. Ungleich verheerender sind jene historischen Augenblicke, wenn augenscheinlich alle Investoren dem Taumel verfallen und dem von Charles Mackay so genannten »Wahnsinn der Massen« erliegen – so kam es in England während der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts zur berühmten »South Sea Bubble«, in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zum japanischen Immobilienmarktschwindel (damals war ein Grundstück in Tokio angeblich mehr wert als ganz Kalifornien) und natürlich zur Überhitzung der Hochtechnologiewerte in den neunziger Jahren. Bei einem echten Börsenschwindel verlieren Papier- und Realwert jede Relation zueinander. Die Preise steigen und steigen, weil die Menschen damit rechnen, dass sie noch weiter steigen – bis zu dem Moment, an dem sie eben nicht mehr steigen. Dann setzt die Panik des massenhaften Ausstiegs ein.
    Börsenschwindel und -kräche sind Beispiele für Fehlläufe kollektiver Entscheidungsfindung. Während eines Börsenschwindels verschwinden alle Faktoren, die Gruppen intelligent machen – Unabhängigkeit, Diversifizierung, persönliches Urteil. Und solche Phänomene der Finanzmärkte haben einen riesigen Einfluss auf die »reale« Wirtschaft. Schließlich ist der Aktienmarkt eigentlich nur ein riesiger Mechanismus, der es Anlegern ermöglicht, (indirekt) zu bestimmen, wie viel Kapital verschiedenen Firmen zufließen sollte. Bei hohem Aktienwert kann ein Unternehmen mehr Kapital aufnehmen, als es ihm normalerweise möglich ist – entweder durch Aktienverkäufe oder Schuldverschreibungen. Mit dem Hochtreiben von Aktienkursen pumpen Anleger also Kapital in ein Unternehmen, das sie von anderen abziehen. Ist der Markt klug, so nutzen hochbewertete Unternehmen das aufgenommene Kapital produktiv und nutzbringend – was für das Unternehmen selbst wie für die Gesamtwirtschaft dann ein Segen ist.
    Im Fall der Bowlingaktien verhielt sich der Markt allerdings nicht sonderlich klug – im Gegenteil: Hier versagten Anleger bei ihrer Aufgabe, den richtigen Unternehmen Kapital zuzuleiten. Sie investierten viel zu viel Geld in Bowlingaktien, und die Bowlingbahnunternehmen versäumten es, das von ihnen aufgenommene Kapital klug zu nutzen. In Erwartung einer Zukunft, die nie eintraf, haben sie überexpandiert. Das Bowlingbahnfieber war also nicht gerade ein Glanzzeugnis für die Weisheit der Menge. Nun sind große Börsenschwindel und -kräche allerdings ein eher seltenes Phänomen. Die Kenntnis, wie und warum sie entstehen, hilft jedoch zu verstehen, was bei Gruppenentscheidungen falsch laufen kann.
     
    Beim Nachdenken darüber wird eines gleich klar: In der realen Wirtschaft kommt es nie zu solchen Erscheinungen wie auf dem Aktiensektor. Der Preis eines Fernsehgeräts verdoppelt sich nicht plötzlich über Nacht und bricht nicht ein paar Monate später wieder ein. Natürlich gibt es auch da Preisänderungen – Hersteller heben die Preise für knappe Waren an, Einzelhändler reduzieren die Preise von Waren, die sich nicht bewegen -, aber keine wilden Auf- und Abschwankungen. Und man wird da auch nie die Situation erleben, dass steigende Preise Menschen zu wachsenden Käufen reizen. (Genau das ereignet sich ja während eines Börsenschwindels.) Je teurer ein Fernsehgerät wird, desto mehr verringert sich das Kaufinteresse.
    Solche Seifenblasen sind ein Charakteristikum von Finanzmärkten. Warum? Nun – was kauft man denn, wenn man eine Aktie erwirbt? Einen Bruchteil der künftigen Gewinne eines Unternehmens. (Wenn ich eine Aktie eines Unternehmens besitze und das Unternehmen pro Aktie zwei Dollar verdient, stecke ich zwei Dollar ein.) Man kauft damit aber auch noch etwas anderes: nämlich das Recht, diese Aktie wieder an jemand anderen zu veräußern – idealerweise an jemanden, der die Zukunft dieses Unternehmens positiver einschätzt und darum für die Aktie mehr zahlt, als man selbst ausgegeben hat.
    Nun erwirbt man ein solches Recht selbstverständlich auch beim Kauf eines materiellen Produkts. Wenn man ein Produkt der realen Wirtschaft ersteht, ist man im Allgemeinen freilich an einem Wiederverkauf nicht vorrangig interessiert. (Das gilt selbst für Automobile.) So hängt der Wert eines Heimcomputers beispielsweise nicht von der Summe ab, für den man ihn an einen Nachbarn

Weitere Kostenlose Bücher