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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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sozusagen einfach zu erklären, diesmal befänden die Geleebonbons sich in einem Plastikkrug, ließ Treynor sich lang und breit darüber aus, warum es seiner Auffassung zufolge von Bedeutung war, dass der Krug aus Kunststoff bestand – und damit entzog er den Studenten Information. Je mehr ihnen erzählt wurde, desto unklarer wurde ihnen, wie viele Geleebonbons der Krug enthielt.
    Keine Frage, das Wirtschaftsleben und die Demokratien sind auf öffentliche Informationen angewiesen; darauf beruhen sie. Die Experimente von Andreassen und Treynor geben jedoch zu erkennen, dass die Bekanntmachung von öffentlich relevanten Informationen am besten ohne Hype oder sogar Kommentare von Personen in Machtpositionen funktioniert. In diesem Lichte handelt die amerikanische Zentralbank klug und weise, wenn sie Zinssatzerhöhungen nur in Form eines knappen Resümees ihrer Entscheidung bekannt gibt.
    Klug sind Gruppen nur, wenn ein Gleichgewicht existiert zwischen ihrem Gemeinwissen und den privaten Erkenntnissen ihrer einzelnen Mitglieder – in einer unabhängigen Information, die eine Kombination aller Elemente, teils richtig, teils falsch, enthält -, das für das Fortbestehen der Weisheit einer Gruppe sorgt. Wie wir gesehen haben, wird die eigene Wertbeurteilung auf dem Börsenmarkt von den Entwicklungserwartungen anderer beeinflusst. Das spielt meist eine nur geringe Rolle, weil diese Erwartungen miteinander konkurrieren. In einem Börsenschwindel aber – oder wenn die Seifenblase platzt – kommt es zu einer Konvergenz der Erwartungen. An einem solchen Prozess sind die Medien beteiligt. In Boomzeiten ist keine warnende Stimme zu vernehmen, die heraufziehendes Unheil befürchtet; wenn die Dinge schlecht laufen, findet sich kaum eine Stimme, die Panikverhalten kritisiert. Auf diese Weise verschlimmern die Medien die Schleife des Feedbacks, die sich während eines Börsenschwindels bildet. (Verursachen tun sich solche Schleifen freilich nicht.) Wie schon erwähnt, ist es für Investoren ohnehin nicht leicht, voneinander unabhängig zu urteilen. Während einer Börsenseifenblase wird es praktisch unmöglich. Mit anderen Worten: Der Markt verwandelt sich in eine Pöbelhorde.
    Man ist natürlich versucht zu behaupten, dass Investoren in einer Seifenblase einfach den Verstand verloren haben, dass sie sich irrational verhalten und dass sie einen riesigen Kater haben werden, wenn die Blase platzt. Die Wahrheit sieht anders aus: Die Investoren richten sich nach der Masse. So etwas ist auch sonst kein absonderliches Phänomen.
    So hetzte etwa eine Menschenmenge im August 2001 eine sechsundzwanzigjährige Frau auf, von der Seattle Memorial Bridge zu springen. Die Frau hatte ihren Wagen mitten im Verkehrsstrom angehalten und war über das Geländer geklettert. Auf der Fahrbahn hinter ihrem verlassenen Wagen begann sich rasch ein Stau zu bilden; in Gegenrichtung kam der Verkehr wegen Schaulustiger ebenfalls ins Stocken. Die Polizei wurde gerufen und versuchte die Frau zu bewegen, das Brückengeländer zu verlassen. Unterdessen begannen verärgerte Fahrer, Fußgänger und Passagiere eines stecken gebliebenen Metrobusses die Frau anzuschreien, sie solle endlich springen. »Bring es hinter dich!«, brüllten sie. »Nun spring endlich! Spring, du Miststück! Los!« Die Polizisten taten alles, um die Frau zu beruhigen – vergeblich. Die Menge hörte nicht auf zu hetzen. Die Frau sprang und stürzte sechs Stockwerke tief in den Fluss. (Sie überlebte wie durch ein Wunder.)
    Ungewöhnlich war an diesem Vorfall in Seattle, dass er sich an einem Morgen ereignete. Das Phänomen der hetzenden Menge selbst war jedoch kein Einzelfall. Der Soziologe Leon Mann beschäftigte sich mit einer ganzen Reihe von Selbstmordversuchen durch einen Sprung in die Tiefe; in der Hälfte der von ihm untersuchten Fälle wurde der Selbstmordkandidat von einer sich rasch zusammenrottenden Menge angestachelt, wozu es, wie Mann feststellte, eher bei Nacht kommt, wenn es leichter fällt, nicht identifiziert zu werden, man sich aber vor allem leichter als Teil einer größeren Menge empfindet, und je größer die Menge, desto wahrscheinlicher, dass sie einen Selbstmordkandidaten zum Sprung antreibt. Nun ist es gewiss so, dass, je größer eine Menge ist, desto stärker das Gefühl von Anonymität ist. Man darf aber auch annehmen, dass, je mehr Leute schrien, desto mehr Personen versucht waren, in das Gebrüll einzustimmen.
    Nun sind hetzende Massen gewiss eher eine

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