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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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Seltenheit. Die Gruppendynamik, die sie erfasst, scheint jedoch sehr dem Verhalten von aufrührerischem Pöbel zu ähneln. Und die Art und Weise, wie ein aufrührerischer Pöbel sich zusammenrottet, scheint wiederum dem Entstehen einer Seifenblase des Börsenmarkts merkwürdig ähnlich. Der Mob wirkt während eines Aufruhrs wie ein Organismus mit eigenem Bewusstsein. Zugegeben, das Verhalten eines Mobs enthält eine Dimension des Kollektiven, das einer Gruppe von Personen abgeht, die einfach nur herumstehen. Wie der Soziologe Mark Granovetter hervorgehoben hat, ist die kollektive Eigenart eines Mobs nicht einem plötzlichen Absinken in einen Zustand des Wahnsinns zuzuschreiben, sondern vielmehr Folge einer äußerst komplexen Entwicklung. Laut Granovetter gibt es in jeder Gruppe Personen, die nie und nimmer an einem Aufruhr teilnehmen würden, und andere, die jederzeit zum Randalieren bereit sind – die »Anstifter« beziehungsweise Rädelsführer. Die meisten Menschen aber stehen irgendwie dazwischen: Ihre Bereitschaft zum Aufstand ist abhängig davon, was andere Leute in der Menge machen, insbesondere aber davon abhängig, wie viele Personen sich austoben. Und je mehr Leute durchdrehen, desto mehr Personen wird bewusst, dass sie ebenfalls bereit sind loszuschlagen. (Man erinnere sich an die Aussage von Andy Serwer: »Je mehr Aktien im Wert steigen, desto mehr Leute werden in den Markt einsteigen.«)
    Das klingt nun ganz so, als ob ein Aufruhr unabwendbar wäre, sobald ein Individuum einen Krawall anfängt. Das ist Granovetter zufolge jedoch keineswegs der Fall. Entscheidend ist die Zusammensetzung der Menge. Besteht sie aus einigen wenigen Anstiftern und zahlreichen anderen, die bloß mitmachen, wenn ein erheblicher Prozentsatz der Menge aktiv wird, so wird wahrscheinlich gar nichts passieren. Eine Masse gerät nur dann in Rage, wenn sie »Radikale« – Personen mit einer niedrigen Hemmschwelle in Bezug auf Gewalttätigkeit – und eine Menge Leute enthält, die mitgerissen werden können. Insofern mag ein Aufruhr vielleicht in Gang kommen; sobald die Menge aber die Hemmschwelle überschreitet und gewalttätig wird, wird ihr Verhalten von ihren radikalsten Mitgliedern bestimmt. Ein Mob kennt die Weisheit der Menge nicht. Er denkt und handelt extrem.
    Märkte bilden selbstverständlich die meiste Zeit über keine Seifenblasen. Und Granovetters Werk enthält auch eine Andeutung, wessen die Märkte bedürfen, um endlose Ausbrüche irrationaler Übereiferung oder irrationaler Verzweiflung zu vermeiden. Wenn es in einer Gruppe genügend Personen gibt, die unter keinen Umständen den Verstand verlieren – deren Handlungen also gänzlich unabhängig vom Verhalten der restlichen Gruppe sind -, wird ein Aufruhr sehr viel unwahrscheinlicher; denn je mehr Personen nicht losschlagen, desto mehr Menschen werden auch nicht randalieren wollen. Die Analogie zum Aktienmarkt liegt auf der Hand: Je mehr Anlieger da sind, die sich weigern, Aktien zu kaufen, nur weil andere Personen Aktien kaufen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Seifenblase sich aufbläht. Je weniger Anleger sich im Markt so verhalten wie die Teilnehmer an dem von Keynes beschriebenen Schönheitswettbewerb, desto solider, fester und intelligenter werden die Entscheidungen des Marktes sein.

ZWÖLFTES KAPITEL
    Demokratie: Träume vom Gemeinwohl

1
    Im Januar 2003 trafen sich 343 Menschen – sorgfältig ausgesucht, damit sie einen nahezu vollkommenen Querschnitt der amerikanischen Bevölkerung repräsentierten – für ein Wochenende der politischen Debatten in Philadelphia. Zur Debatte stand die Außenpolitik der USA. Das Themenspektrum reichte vom drohenden Krieg mit dem Irak über die Ausbreitung von Nuklearwaffen bis zur globalen Aids-Epidemie. Die Teilnehmer waren zuvor erst einmal befragt worden; man wollte eine Vorstellung von ihrem Standpunkt zu den verschiedenen Fragen gewinnen. Danach schickte man ihnen vorbereitende Texte zu, die in bewusst ausgeglichenen Formulierungen die relevanten Fakten darboten sowie einen Eindruck vom Stand der zur Zeit laufenden Diskussionen vermitteln sollten. Nach ihrer Ankunft in Philadelphia wurden sie in kleine Gruppen unter der Leitung professioneller Moderatoren aufgeteilt. Dann wurde das ganze Wochenende über debattiert, wobei die Teilnehmer zwischendurch Gelegenheit bekamen, Komitees aus Experten und politischen Persönlichkeiten mit divergierenden Meinungen zu interviewen. Zum Schluss wurden alle Teilnehmer

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