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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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als Ganzes.
     
    Informationen werden gewöhnlich als positiv betrachtet – je mehr, desto besser. Und eine der wesentlichen Herausforderungen jeder Volkswirtschaft beruht darauf, sicherstellen zu müssen, dass Investoren über die Firmen, in die sie investieren, informiert sind. Die Erfahrung mit Börsenschwindeln und -krächen gibt jedoch zu erkennen, dass gewisse Informationen unter gewissen Umständen die Dinge verschlimmern. Es kommt auf die Informationsquellen an, und die Art und Weise, wie eine Information dargeboten wird, kann eine profunde Auswirkung darauf haben, wie sie angenommen wird.
    Die Börsenblase der neunziger Jahre fiel mit einer explosionsartigen Vermehrung von Finanznachrichten zusammen. Im Vergleich zum Jahrzehnt zuvor haben Investoren heute – dank Internet und Kabelfernsehen – Zugang zu immensen Informationsfunden. In den späten Neunzigern war die einflussreichste Quelle von Finanznachrichten zweifelsohne CNBC. »Ich halte CNBC für den Fernsehsender unserer Zeit«, schrieb der Kolumnist Andy Serwer von der Zeitschrift Fortune 1999. »Die Börsenhausse, derer wir uns Jahr um Jahr erfreuen, hat Investieren zu einem Volkssport werden lassen. Je mehr die Aktienwerte steigen, desto mehr Bürger nehmen am Börsenmarkt teil, und desto mehr schauen CNBC, um auf dem Laufenden zu bleiben.« (Serwers Formulierung – »Je mehr die Aktienwerte steigen, desto mehr Bürger nehmen am Börsenmarkt teil« – reflektiert notabene genau die Dynamik einer Börsenblase.) Während der Glanzzeit der Börse schauten wöchentlich sieben Millionen Menschen CNBC; wer sich für den Börsenmarkt interessierte, hatte gar keine andere Wahl. Serwer weiter: »CNBC ist überall zu sehen, in den Börsensälen, in den Maklerfirmen, gewiss, aber auch in den Fitnessclubs und Restaurants, in Blumenläden und auf den Erdöl-Bohrinseln, in Fabrikhallen und bei Studentenverbindungen, in Anwaltskanzleien und Gefängnissen.»
    CNBC berichtete nonstop über das Marktgeschehen; am Fuß des Bildschirms lief unentwegt ein Band mit den aktuellen Börsenwerten; es gab regelmäßige Berichte über den letzten Stand der Kursnotierungen verschiedener Börsen. In gewissem Sinne war der Sender nur eine Plattform, über die der Markt gewissermaßen mit sich selbst kommunizierte. Mit wachsender Zuschauerschaft wuchs aber auch sein Einfluss. Statt die Märkte einfach bloß darzustellen, begann er sie – unabsichtlich – zu bewegen. Wichtiger war weniger, was auf CNBC gesagt wurde; Investoren kauften und verkauften vielmehr aus dem Grund, dass es auf CNBC gesagt wurde.
    Die Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Busse und T. Clifton Green untersuchten die Reaktionen des Marktes auf den positiven Bericht über eine Aktie in der Sendung Midday Call . Der Aktienkurs reagierte fast unmittelbar. Er stieg in den ersten 15 Sekunden nach Sendebeginn. Binnen einer Minute nach Ende der Sendung versechsfachte sich der Handel mit der Aktie. Die Schnelligkeit der Reaktion bezeugt einerseits die große Fähigkeit des Marktes, neue »Informationen« zu absorbieren. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass die Investoren keineswegs auf den Inhalt der Sendung ansprachen. Eine Viertelminute reicht ja wohl kaum aus, um zu überlegen, ob die Aussage von CNBC Hand und Fuß hat oder nicht. Die Investoren interessierte lediglich eines: Weil CNBC sich damit befasste, würde es zum Handel mit der Aktie kommen. Wenn man weiß, dass andere Menschen auf die Nachricht reagieren werden, bleibt nur noch die Frage, ob man selbst noch schnell genug handeln kann. (Handelt man zu spät, wird man am Ende Geld verlieren.) Der Börsenmakler Ken Wolff erklärte der Zeitschrift Business News gegenüber: »Für den Wertpapierhandel stellt CNBC ein Instrument zur frischen Inputgebung dar.« Und der ehemalige Hedgefonds-Manager und heutige Wirtschaftskolumnist James J. Cramer äußerte sich zur CNBC-Morgensendung Squaw Box wie folgt: »Man reagiert, wenn man hört, dass jemand in Squawk erscheint.«
    Indem CNBC die Investoren mit Meldungen über die Meinungen anderer Investoren bombardierte, verstärkte der Sender das abhängige Moment des Börsenmarkts noch. In den Tagen vor CNBC konnten die Händler auf die Meinungen aller anderen eigentlich nur aus den auf dem Ticker erscheinenden Kursschwankungen schließen. Selbst wenn man sie hinsichtlich der Gründe beziehungsweise Motive zu entschlüsseln versuchte, blieb zwischen einem selbst und dem Markt ein Freiraum. In der jetzigen Welt ist

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