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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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zu wollen. Doch die spartanischere Deutung trifft wahrscheinlich zu. Die Leute wählen, weil sie wählen zu müssen glauben – auch Rikers Daten über Wahlen seit den fünfziger Jahren gaben zu erkennen, dass »Pflichtgefühl« der wichtigste Indikator ist, ob einer zur Wahl geht oder nicht – und weil die Menschen einen wie auch immer geringen Einfluss darauf nehmen möchten, wie ihre Regierung geführt wird. Im Übrigen: Wenn, wie manche Theoretiker es sehen, Wählen »expressiv« ist – das heißt, dass die Leute ihre Ansichten öffentlich ausdrücken statt tatsächlich den Ausgang einer Wahl zu beeinflussen suchen -, dann könnte das für die Gesellschaft vorteilhafter sein, als wenn sie ihre Stimme im Sinne persönlichen Eigennutzes und Vorteils abgeben.
    Doch selbst wenn Menschen aus einem anderen Motiv als aus Eigennutz wählen, dann bedeutet das noch nicht, dass ihre konkrete Stimmabgabe etwas anderes als Eigennutz reflektiert. Die Eigennutz-Theorie hat jedoch ihre eigenen Grenzen. Zunächst einmal ist eine klare Beziehung zwischen Eigennutz (zumindest im engen Verständnis) und Wahlverhalten bisher nicht zu erkennen. Die meisten Amerikaner sind nicht wohlhabend, werden es auch nie sein; dennoch haben sie seit den achtziger Jahren nicht dafür gestimmt, die Steuern für die Reichen zu erhöhen und die entsprechenden staatlichen Mehreinnahmen zugunsten ihrer eigenen Wünsche zu verwenden. Und Donald R. Kinder und D. Roderick Kiewiet haben in einer Reihe von Studien Wähler befragt und festgestellt, dass zwischen ihrer privaten wirtschaftlichen Situation und ihrer Stimmabgabe keine Relation besteht, wohl aber zwischen ihrer Wahlentscheidung und ihrem Verständnis von der wirtschaftlichen Gesamtsituation. Noch aufschlussreicher sind Untersuchungen des Politologen David Sears. Sie zeigen, dass ideologische Anschauungen in viel stärkerem Maße auf die Haltung zu Sachfragen einwirken als eigene Interessen. So haben beispielsweise konservative Wähler, die nicht im Genuss einer Krankenversicherung sind, trotzdem gegen ein staatliches Krankenversicherungswesen votiert, das andererseits von Liberalen, die sich persönlich des Schutzes einer Krankenversicherung erfreuten, befürwortet wurde.
    Aus all dem darf keineswegs abgeleitet werden, dass der amerikanische Durchschnittswähler die anstehenden Fragen vor der Abgabe seines Wahlzettels gründlich recherchiert und bedenkt. Nicht im Geringsten. Die Leute verlassen sich bei ihrer Wahlentscheidung primär auf lokales Wissen – so wie sie sich auch in einem Markt verhalten. Es besteht allerdings kein Widerspruch zwischen der Behauptung, dass die Einstellung der Leute zu politischen Fragen und Kandidaten von lokalen Gegebenheiten und Eigeninteressen gesteuert sei, und der Aussage, dass die Wähler gleichwohl ein Interesse daran haben, den besten Kandidaten für das Amt und nicht einfach nur den Kandidaten zu wählen, der für sie persönlich am besten ist.

3
    Nach einer von der Universität Maryland im Jahr 2002 durchgeführten Meinungsumfrage sind die Amerikaner der Auffassung, dass die USA für alle drei Dollar, die sie für militärische Belange ausgeben, einen Dollar Auslandshilfe leisten. (Ich vermag das kaum zu glauben, es ist aber Ergebnis dieser Meinungsfrage.) Tatsache ist: Die USA – unter allen Industrieländern der Staat mit dem niedrigsten Beitrag zur Auslandshilfe – leisten bei 19 Dollar Militärausgaben einen Dollar für Auslandshilfe. Wenn Amerikaner aber gefragt werden, ob die USA an Auslandshilfe etwa nicht zu viel Geld ausgäben, wird traditionell stets mit »Ja« geantwortet. Das ist möglicherweise darin begründet, dass – wie eine andere Umfrage der Universität Maryland zeigt – die Amerikaner glauben, dass die Vereinigten Staaten 24 Prozent ihres jährlichen Staatsbudgets für Auslandshilfe abzweigen.
    Das Ergebnis dieser Umfrage ist kein Einzelfall. Es fällt wirklich nicht schwer aufzuzeigen, wie wenig die amerikanischen Wähler Bescheid wissen. So hat etwa eine Meinungsumfrage im Jahr 2003 nachgewiesen, dass die Hälfte der Befragten nicht einmal wusste, dass in den vorausgegangenen zwei Jahren eine Steuersenkung stattgefunden hatte. 30 Prozent der Amerikaner betrachteten Beiträge zur Sozialversicherung und zur Medicare – dem bundesgesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitsdienst für Rentner – als Teil des Einkommensteuersystems, weitere 25 Prozent hatten dazu keine Meinung. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges betrachtete die

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