Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Vielfalt hinsichtlich ihrer Zusammensetzung. Somit haben Märkte von vornherein eine ziemlich diverse Teilnehmerschaft, weil da Personen mit unterschiedlicher Risikobereitschaft und mannigfaltigsten Auffassungen davon, was eine vernünftige Investition bedeutet, mit verschiedenen Zeithorizonten wie Informationen zusammenkommen. Teams oder Unternehmen dagegen bedürfen einer bewussten Förderung von Diversität. Sie ist von essentieller Bedeutung, weil kleinere Gruppen allzu leicht im ungebührlichen Einfluss voreingenommener Mitglieder stehen, die eine echt kollektive Gruppenentscheidung vereiteln können.
Scott Page, ein Politikwissenschaftler der Universität Michigan, hat eine Reihe aufschlussreicher Experimente durchgeführt, bei denen computersimulierte »Agenten« zum Nachweis der positiven Auswirkung von Diversität eingesetzt wurden – so etwa Serien mit Agenten diverser Fähigkeiten zur Bewältigung recht komplexer Aufgaben. Manche von ihnen waren im Lösen des jeweiligen Problems mehr, andere minder geschickt. Dabei gelangte Page zu einer wichtigen Erkenntnis: Eine aus klugen und weniger gescheiten Agenten bestehende Gruppe schnitt fast immer besser ab als eine Gruppe, die nur aus klugen Agenten bestand. Und wenn Scott Page eine eher willkürlich zusammengesetzte Gruppe mit der Lösung des Problems betraute, fiel das Resultat in der Regel besser aus, als wenn er hochintelligente Agenten aussonderte und diese individuell auf das Problem ansetzte.
Der springende Punkt des Experiments: Diversität ist prinzipiell von hohem Wert. Allein die Zusammensetzung einer Gruppe aus unterschiedlichen Personen führt zur optimaleren Lösung von Problemen. Daraus ist freilich keineswegs zu schließen, dass individuelle Intelligenz etwa irrelevant wäre – in allen Experimenten von Scott Page gab es nicht einen einzigen völlig unbedarften Agenten, und allen erfolgreich abschneidenden Gruppen gehörten besonders leistungsstarke Agenten an. Es ergibt sich daraus aber die Folgerung: Im Gruppenverbund ist individuelle Intelligenz allein nicht ausreichend. Die isolierte Intelligenz vermag nämlich nicht verschiedenartige Sichtweisen auf ein Problem zu gewährleisten. Scott Page ist sogar der Auffassung, dass ein Zusammenführen von ausschließlich gescheiten Leuten weniger bringt, weil Angehörige dieses Personenkreises (was immer er darunter auch genau verstehen mag) hinsichtlich dessen, was sie zu leisten vermögen, einander ähneln. Man stelle sich Intelligenz einmal als eine Art Werkzeugkasten von Fertigkeiten vor – die Anzahl der »besten« Fertigkeiten ist relativ klein. Darum weisen Menschen, die solche Fertigkeiten besitzen, eine gewisse Homogenität auf. Im Allgemeinen mag das in Ordnung sein. Für die Gruppe aber bedeutet es: Sie weiß weniger, als sonst möglich wäre. Wenn nur ein paar Leute mit anderen Fertigkeiten hinzukommen – mögen sie auch über ein nur geringes Wissen verfügen -, optimiert sich die Leistung der Gruppe.
Solche Schlussfolgerung mag zwar ungewöhnlich scheinen (was sie letztlich ja auch ist), doch sie entspricht der Wirklichkeit. Der berühmte Organisationstheoretiker James G. March hat es so formuliert: »Die Weiterentwicklung von Wissen könnte [sehr wohl] einer laufenden Zuführung von naiven und ignoranten Menschen bedürfen, und... im Wettstreit fällt der Sieg nicht unbedingt den formal Gebildeten zu.« Gruppen mit einander allzu ähnlichen Mitgliedern fällt es, so March, schwerer hinzuzulernen, weil jedes ihrer Mitglieder zunehmend weniger an neuen Informationen einbringt. Homogene Gruppen sind dadurch charakterisiert, dass sie in dem, was sie beherrschen, gute Leistungen zeitigen; sie sind allerdings immer weniger imstande, Alternativen zu erkunden. Beziehungsweise sie verwenden, wie March es einmal ausdrückte, zu viel Zeit darauf, Bekanntes auszubeuten, und widmen sich zu wenig der Erkundung von Neuem. Neuankömmlinge machen, selbst wenn es sich um relativ unerfahrene und unfähige Personen handelt, ein Unternehmen klüger – und zwar aus einem ganz simplen Grund: Was die Neuen wissen, repliziert nicht, was alle bereits Angestellten schon kennen. Solch positive »Auswirkung basiert nicht etwa auf einem höheren Wissensstand des durchschnittlichen neuen Mitarbeiters. Neue Mitarbeiter sind im Allgemeinen weniger kenntnisreich als die Personen, die sie ersetzen. Der Zugewinn ergibt sich aus ihrer Andersartigkeit.«
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Erkenntnisvielfalt ist wichtig. Das heißt nun keineswegs:
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