Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
ABC: Die Fernsehanstalt würde vielleicht gern auf die teuren Sendungen verzichten, aus einem exakteren lokalen Bewertungssystem jedoch keine nennenswerten unmittelbaren ökonomischen Vorteile ziehen können.
Da müssten doch, sollte man meinen, alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Einführung eines besseren Systems zu fordern. Solcher Vorstellung widerspricht freilich die These, die der Soziologe Mancur Olson 1965 in seinem Buch The Logic of Collectice Action aufstellte, in dem er die Möglichkeit von Kooperation mit ätzender Schärfe bezweifelt.
Olson befasst sich in seinem Werk mit den Schwierigkeiten, gegen die Interessenverbände wie die American Medical Association (AMA) anzukämpfen hatten, wenn sie ihre Mitglieder persönlich zu mobilisieren versuchten. Da von der Lobbyarbeit der AMA alle Ärzte profitierten, der Einsatz des einzelnen Mediziners für den Erfolg oder Misserfolg einer Aktion jedoch keine große Rolle spielte, folgerte Olson, dass sich da natürlich kein Weißkittel freiwillig persönlich engagieren würde. Das könnte sich seiner Auffassung zufolge nur ändern, wenn Interessenverbände ihren Mitgliedern besondere Anreize zu einem persönlichen Engagement böten – etwa eine Krankenversicherung oder, im Falle der AMA, den kostenlosen Bezug ihrer Fachzeitschrift. Selbst unter solchen Umständen würden sie laut Olson Mühe haben, ihre Mitglieder zur Abfassung eines Briefes an den amerikanischen Kongress oder zur Teilnahme an einer Massenveranstaltung zu bewegen, weil es ihnen als Einzelpersonen stets sinnvoller erschiene, die Arbeit anderen zu überlassen. Demzufolge würde auch in unserem Zusammenhang nichts geschehen, wenn alle Beteiligten – auch diejenigen, die selbst nichts unternehmen – davon profitierten, dass eine Interessengemeinschaft der Fernsehanstalten, ihrer Regionalsender und der Werber zur Tat schritte, weil jeder Einzelne dann der Verlockung erläge, untätig zu bleiben und nur darauf zu warten, dass andere die Kastanien aus dem Feuer holen.
Wir haben bereits gesehen, dass Olsons Kritik nicht so allgemein gültig ist, wie man lange Zeit annahm. Denn es gibt ja Kooperation in Gruppen; Menschen tragen zum Gemeinwohl bei. Dass Individuen sich um das Gemeinwohl kümmern, bedeutet allerdings noch nicht, dass auch Unternehmen es tun. Das aufgeklärte eigennützige Denken, das einzelne Personen zu kooperativem Verhalten bewegen mag, erfordert eine Fähigkeit zu langfristigem Denken. Die Kurzsichtigkeit von Unternehmen mag in dem Druck begründet liegen, den Investoren auf sie ausüben. Was die TV-Branche angeht, so stecken die Sender und die Werber aufgrund besonderer organisatorischer Umstände in puncto kollektivem Verhalten noch zudem in einer Falle.
Das Problem wird nämlich erschwert durch die Art und Weise der Finanzierung der Nielsen-Programmbewertungen. Angesichts der großen Bedeutung der »Sweeps«-Daten für die Regionalprogramme der Sender und für die Werber möchte man meinen, dass deren Kosten zwischen ihnen geteilt würden. Tatsache ist aber, dass die TV-Zweigorganisationen für 90 Prozent der Kosten des Sammelns und Analysierens der »Sweeps«-Daten aufkommen, und es ist immer noch so: Wer zahlt, bestimmt. Deshalb diktieren die Regionalsender, was mit den »sweeps« zu geschehen hat. Und wie es sich fügt, sind diese lokalen Sender auch die einzigen Akteure im ganzen TV-Sektor, die sich für die »sweeps« stark machen. Kein Wunder, denn das Merkbuch-System begünstigt wiedererkennbare Namen und Programme; eben darum sichert es auch die Quotenbewertung der großen auf Kosten kleiner Sender. Und was die hunderte Millionen Dollar betrifft, die eine Programmgestaltung im Hinblick auf die »sweeps« verschlingt, so haben dafür nicht die Zweigorganisationen, sondern die zentralen Programmanstalten zu zahlen. Die Regionalsender sind da bloß Nutznießer. Was ferner die negativen Auswirkungen der »sweeps« auf die Zuschauerzahlen während der übrigen Zeit des Jahres anbelangt, so ist festzustellen, dass den Lokalsendern diese acht Monate völlig egal sind, da ihre Einschaltquoten während dieser Zeitspanne ja nicht ermittelt werden. Es wäre keine sonderliche Übertreibung zu behaupten, dass die Regionalsender sich nur um die Programmgestaltung für Februar, Mai, Juli und November sorgen. Nicht nur, dass ihnen eine Installation von »people meters« nicht wünschenswert erscheint – sie betreiben in dieser Hinsicht geradezu eine Verhinderungspolitik. Das
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