Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
jedoch für die meisten lokalen Märkte die einzig überhaupt verfügbaren konkreten Zahlen liefern, sind diese Werte schlussendlich noch immer unverhältnismäßig einflussreich.
Für die großen Sender wiederum haben die »Sweeps«-Monate zur Folge, dass sie ein Großteil ihrer besten Programmsubstanzen in direkter Konkurrenz gegeneinander verschwenden. (Wobei »beste« hier in einem sehr weiten, lockeren Sinn verwendet wird.) Während der »Sweeps«-Monate kann es zu jeder beliebigen Stunde zeitgleich zwei oder drei lohnenswerte Sendungen zu sehen geben (lohnenswert zumindest für Menschen, die Fernsehen überhaupt als lohnenswert empfinden). Die Zuschauer können sich jedoch immer nur für eine Sendung entscheiden. Wären die Sender imstande, diese Sendungen zu verschiedenen Zeiten auszustrahlen, statt sie gegeneinander ausspielen zu müssen, würde die Gesamtzahl der TV-Konsumenten wesentlich höher ausfallen. Durch einander konkurrierende Ausstrahlungen reduzieren die Sender folglich ihre Gesamtkundschaft. In gleicher Weise sind »sweeps« für die Zuschauer von Nachteil, weil interessante Sendungen in den übrigen Monaten spärlich gesät sind. Im November wird ein Liebhaber gespenstischer Schaustücke reichlich verwöhnt, im Januar dagegen in einer Flut von Wiederholungen ertrinken.
»Sweeps« sind also nicht eben sonderlich geeignet zu ermitteln, wer sich im Fernsehen was anschaut. Die Werber werden wegen unzuverlässiger und unrepräsentativer Daten zur Kasse gebeten. Sie minimieren die Zuschauerschaft, welche die Sender über den Verlauf eines ganzen Jahres erreichen könnten. Das ist allen im Fernsehbereich Tätigen bekannt, unter denen im Übrigen die Überzeugung vorherrscht, dass der Branche mit einem anderen Instrumentarium zum Erfassen der lokalen Zuschauerzahlen besser gedient wäre. Doch obwohl ein besseres Instrumentarium existiert – die »people meters« von Nielsen nämlich -, nehmen alle im Fernsehen aktiven Unternehmen weiterhin am »Sweeps«-System teil, spielen sie nach seinen Regeln. Daraus ergibt sich eine klar auf der Hand liegende Frage: Warum lassen sich eigentlich so viele Leute auf ein solch stupides System ein?
Eine erste Antwort lautet: Weil eine Änderung sie zu teuer käme. Es ist aufwändig, »people meters« zu installieren, und noch kostenträchtiger, sie zu betreuen, da sie ja permanent laufen. Jeden lokalen Markt mit »people meters« zu vernetzen würde... nun, wir wissen nicht, wie viel es kosten würde, da Nielsen sich weigert, mit Zahlen über die Kosten der »people meters« herauszurücken. Für das Anschließen Tausender Wohnungen in jedem der 210 Fernsehmärkte der USA würden aber mindestens wohl Dollarsummen in dreistelliger Millionenhöhe zu veranschlagen sein. Und das ist viel mehr, als womit die Merkbücher, die von den Leuten umsonst ausgefüllt werden, selbst unter Einbeziehung der Portokosten zu Buche schlagen.
Im Kontext der Fernseh- und Werbebranche insgesamt ist freilich auch eine Milliarde Dollar keine so große Summe. Auf der Basis der »Sweeps«-Erhebungen werden alljährlich rund 25 Milliarden Dollar für Werbespots ausgegeben, das heißt, es werden jährlich Werbegelder in Höhe von rund 25 Milliarden Dollar mit einiger Sicherheit fehlgeleitet. Außerdem geben die Fernsehsender während der »Sweeps«-Monate zum einen Jahr um Jahr hunderte Millionen Dollar aus, die gewiss besser genutzt werden können; zum andern haben sie für den durch die »sweeps« verursachten selbstmörderischen Programmwettbewerb einen hohen Preis zu zahlen. Es wäre also doch wohl eine kollektiv intelligente Entscheidung, in die Technologie der »people meter« (oder von Ähnlichem) zu investieren – zum Vorteil sowohl der Sender als auch der werbenden Unternehmen.
Einer konsequenten Umstellung stünde allerdings folgende Tatsache im Wege: Zwar würde die überwiegende Mehrheit der Sender wohl von einer Abschaffung des »Sweeps«-Systems profitieren, doch keiner für sich genommen in einem Maße, dass es die Investition in eine alternative Lösung des Problems rechtfertigen könnte. Nehmen wir die lokalen Werbetreibenden in Sioux Falls, einer 100000-Einwohner-Stadt im Bundesstaat South Dakota. Natürlich hätten sie dort gern zuverlässige Zahlen über die Einschaltquoten des CBS-Ablegers. Die Werbebudgets von Firmen in Sioux Falls sind aber nicht hoch genug, dass Investitionen in die Installation von »people meters« in Sioux Falls lohnen würden. Gleiches gilt für
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