Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
Auftauchen einer Radarfalle einen Stau hervorrufen, weil sie die einzelnen Fahrer zu einer raschen Drosselung des Tempos nötigte und sich daraufhin erhebliche Geschwindigkeitsunterschiede einstellten. Angesichts all dessen stellt sich natürlich die Frage: Wenn das Problem in der Verschiedenartigkeit der Fahrer begründet liegt, ließe es sich dann vielleicht durch homogenes Fahrerverhalten lösen?
Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage übernahm eine Forschergruppe des kalifornischen PATH-Programms im August 1997 in der Nähe von San Diego eine rund 13 Kilometer lange Strecke der Interstate 15. Die Wissenschaftler rückten mit acht Buick LeSabres an, die sie für einige hunderttausend Dollar hatten automatisieren lassen; zu der Spezialausrüstung gehörten unter anderem eine automatische Steuerung und Benzinzufuhr, Temposensoren, Radar sowie ein Funksystem, das imstande war, pro Sekunde 50 Informationen über die Geschwindigkeit und Beschleunigung des Wagens weiterzugeben. Die Automatisierung erfüllte einen doppelten Zweck: Zum einen fuhren die Wagen selbsttätig; zum andern ermöglichte sie der Wagengruppe auf dieser Strecke ein koordiniertes Fahren, denn ihre Geschwindigkeit wurde mittels Funkkommunikation synchronisiert. Und es hat tatsächlich funktioniert. Die LeSabres fuhren mit einem Abstand von jeweils sieben Metern im Konvoi. Tempomäßig waren sie perfekt aufeinander abgestimmt; die normalen, durch Fahrerreaktionen bedingten Verzögerungen waren ja ausgeschaltet. Sobald ein Wagen sein Tempo veränderte, passten die übrigen sich prompt an. Im Verlauf von vier Tagen fuhren diese Wagen mit Insassen bei 120 Kilometer Stundengeschwindigkeit hunderte Meilen absolut unfallfrei. Es war die Idealvorstellung eines vollkommen organisierten Schnellwegs.
Wie könnte so etwas aber in der realen Welt funktionieren? Man würde besondere Autobahnen schaffen müssen, an deren Strecke alle 1,20 Meter magnetische Markiergeräte zu versenken wären. (Dank solcher Markiergeräte könnten die Wagen automatisch die Straßen »lesen« und kontrollieren, dass sie sich auf der richtigen Fahrbahn befinden.) Nach der Einfahrt würde sich Ihr Wagen auf der Autobahn mit anderen zu einem Konvoi formieren, in dem Sie bis zu Ihrer Ausfahrt blieben. (Jeder Zug würde vermutlich mit einer bestimmten Ausfahrtrampe korreliert sein.) Es wäre nicht gerade billig, die Autobahnen auf diese Weise auszustatten. Die Kosten dürften pro Meile bei mindestens 10 000 Dollar liegen. Außerdem müssten die Autos entsprechend aus- und umgerüstet werden. Eine automatisierte Autobahn würde jedoch eine doppelt bis dreifach höhere Kapazität fassen und Verkehrsstaus eliminieren; und das hätte zur Folge, dass weniger neue Schnellstraßen gebaut würden und die Menschen weniger Zeit in Verkehrsstaus verbrächten. Das heißt auch: Automatisierte Autobahnen würden möglicherweise sogar Geld sparen helfen.
Der Plan mutet intuitiv sinnvoll an. (Wenn die Fahrer das Problem sind, müsste man ihnen das Steuer aus der Hand nehmen.) Dennoch ist schwer vorstellbar, dass er in absehbarer Zeit verwirklicht wird: Zum einen weil Autofahrer sich ungern das Heft aus der Hand nehmen lassen und der Gedanke, sein Leben einem Computer zu überantworten, ein noch viel größeres Unbehagen auslöst. Natürlich, Flugzeuge werden inzwischen auch mittels Autopilot gesteuert; doch die allermeisten von uns sind nun mal keine Flugkapitäne, denen solche Systeme vertraut sind. Zum anderen ist dieser Plan eine Totgeburt, weil seine Umsetzung natürlich als eine von oben verordnete Problemlösung empfunden würde; die Menschen unserer Tage bevorzugen jedoch Lösungen von unten, von der Basis. Wären wir etwa bereit, es der Regierung zu überlassen, unsere Fahrten auf der Autobahn zu konzertieren? Da nehmen wir doch wohl lieber die Unannehmlichkeit eines Verkehrsstaus in Kauf.
Insofern wäre es vielleicht besser, auf eine andere Lösung des Problems zu setzen, die als Erster der deutsche Physiker Dirk Helbing entwickelt hat. Helbing ist von allem fasziniert, was sich bewegt; seine Forschungen befassen sich mit Fußgängern, Autos und Menschenmassen ebenso wie auch mit Versorgungsketten. Und er hat die wahrscheinlich erste glaubwürdige und realistische Methode zur Meisterung von Verkehrsproblemen geliefert. Im Kern geht sie auf Studien zurück, die er vor wenigen Jahren gemeinsam mit Bernardo Huberman, einem beim US-Konzern Hewlett-Packard tätigen Wissenschaftler,
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