Die Weisheit des Feuers
›Ich habe grüne Schuppen‹, denn das hätte ja bedeutet, dass sie sich selbst benennen. Sie konnten sich nicht mal mehr Drachen nennen. Wort für Wort zerstörte der Zauber alles, was sie zu denkenden Kreaturen machte, und die Abtrünnigen hatten keine andere Wahl, als hilflos zuzusehen, wie ihre Drachen in völliger Unwissenheit versanken. Diese Erfahrung war so niederschmetternd, dass darüber mindestens fünf von den dreizehn Drachen und etliche der Abtrünnigen verrückt geworden sind.« Arya hielt inne, um die Form eines Schriftzeichens zu betrachten, dann verwischte sie es und malte es neu. »Die Verbannung der Namen ist der hauptsächliche Grund dafür, dass heute so viele Leute glauben, Drachen seien nichts weiter als Transporttiere, um sich von einem Ort zum anderen zu bewegen.«
»Das würden sie nicht denken, wenn sie Saphira einmal begegnet wären«, sagte Eragon.
Arya lächelte. »Nein.« Mit einem Schnörkel vollendete sie den Satz. Er reckte den Hals und rückte näher, um die Zeichen zu entziffern. Da stand:
Der Betrüger, der Verleumder, der Taktiker, der mit den vielen Gesichtern, der das Leben im Tod findet und kein Unheil fürchtet; er, der durch Türen geht.
»Was hat dich dazu inspiriert?«
»Der Gedanke, dass viele Dinge nicht das sind, was sie zu sein scheinen.« Staub wirbelte um ihre Hand herum auf, als sie die Schrift auslöschte.
»Hat irgendjemand schon mal versucht, Galbatorix’ wahren Namen zu erraten?«, fragte Eragon. »Mir scheint, das wäre der einfachste Weg, diesen Krieg zu beenden. Um ehrlich zu sein, ich glaube, es ist vielleicht die einzige Hoffnung für uns, ihn im Kampf zu besiegen.«
»Warst du zuvor nicht ehrlich zu mir?«, fragte Arya und ihre Augen funkelten.
Ihre Frage brachte ihn zum Schmunzeln. »Natürlich. Das ist doch nur eine Redewendung.«
»Und eine ziemlich armselige dazu«, gab sie zurück. »Außer du bist ein gewohnheitsmäßiger Lügner.«
Eragon wusste einen Moment lang nicht weiter, dann fand er den Gesprächsfaden wieder. »Ich weiß, es wird schwer, Galbatorix’ wahren Namen herauszubekommen, aber wenn alle Elfen und alle Varden, die die alte Sprache kennen, danach suchen würden, müssten wir ihn doch finden.«
Wie ein blasses Fähnchen hing der vertrocknete Grashalm zwischen Aryas Daumen und Zeigefinger. Er zitterte bei jedem Pulsschlag. Sie zwickte mit der anderen Hand in seine Spitze und riss den Halm der Länge nach auseinander, dann tat sie dasselbe mit den beiden Hälften. Schließlich flocht sie die Streifen zu einem steifen Stab. »Galbatorix’ wahrer Name ist kein großes Geheimnis. Drei verschiedene Elfen - ein Drachenreiter und zwei gewöhnliche Magier - haben ihn ganz allein und im Abstand von vielen Jahren entdeckt.«
»Was?!«, rief Eragon.
Ungerührt pflückte Arya einen neuen Grashalm, riss ihn in Streifen, die sie in die Lücken des Stabes einfügte und ebenfalls verflocht. »Wir können nur darüber spekulieren, ob Galbatorix seinen wahren Namen kennt oder nicht. Ich bin der Meinung, er kennt ihn nicht, denn wie er auch lauten mag, sein wahrer Name muss so schrecklich sein, dass er es nicht überleben würde, ihn zu hören.«
»Es sei denn, er ist so böse oder so wahnsinnig, dass ihn die Wahrheit über seine Untaten nicht berühren kann.«
»Vielleicht.« Ihre zarten Finger bewegten sich so schnell beim Biegen, Flechten und Weben, dass sie fast nicht mehr zu sehen waren. Sie pflückte noch zwei Grashalme. »So oder so weiß Galbatorix, dass er einen wahren Namen hat wie alle Geschöpfe und Dinge und dass er eine mögliche Schwachstelle ist. Irgendwann bevor er seinen Feldzug gegen die Drachenreiter antrat, hat er einen Zauber gewirkt, der jeden tötet, der seinen wahren Namen benutzt. Und da wir nicht genau wissen,
wie
dieser Zauber tötet, können wir uns nicht gegen ihn wappnen. Du siehst also, warum wir unsere Nachforschungen fast eingestellt haben. Oromis ist einer der wenigen, die mutig genug sind weiterzusuchen, wenn auch auf ziemlich umständliche Art.« Mit zufriedener Miene streckte sie die geöffnete Handfläche aus, auf der ein erlesenes kleines Schiff aus grünen und weißen Gräsern saß. Es war nicht mehr als vier Zoll lang, aber so detailreich, dass Eragon Ruderbänke, eine winzige Reling und Bullaugen in der Größe von Himbeerkernen erkennen konnte. Der gebogene Bug ähnelte der Form eines sich aufbäumenden Drachenkopfes. Und es besaß einen einzigen Mast.
»Es ist wunderschön«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher