Die Weisheit des Feuers
Leibgarde zugegen: Zwei Wachen standen am Eingang, vier hinter der Varden-Anführerin. Und hinter einem Vorhang nahm er das düstere, verschlungene Gedankenmuster von Elva, dem Hexenkind, wahr.
»Eragon«, sagte Nasuada, »darf ich dir Sagabato-no Inapashunna Fadawar, Oberhaupt vom Stamm der Inapashunna, vorstellen? Er ist ein tapferer Mann.«
Im Lauf der nächsten Stunde ließ Eragon eine scheinbar endlose Folge von Vorstellungen, Glückwünschen und Fragen über sich ergehen, die er allesamt nicht freimütig beantworten konnte, ohne Dinge zu verraten, die besser geheim blieben. Als jeder Gast mit ihm gesprochen hatte, bat Nasuada sie, das Zelt zu verlassen. Dann klatschte sie in die Hände und die Wachen am Eingang führten eine zweite Besuchergruppe herein. Nachdem auch diese in den Genuss einer Unterhaltung mit dem jungen Drachenreiter gekommen war, folgte eine dritte. Eragon ließ alles lächelnd über sich ergehen. Er schüttelte Hand um Hand. Er tauschte bedeutungslose Höflichkeiten aus, versuchte, sich die Vielzahl der Namen und Titel einzuprägen, und gab sich genau so, wie man es von ihm erwartete. Er wusste, dass die Leute ihm ihre Ehrerbietung nicht erwiesen, weil er ihr Freund war, sondern weil er für die freien Völker Alagaësias die Hoffnung auf den Sieg verkörperte, wegen seiner Macht und wegen der Dinge, die sie durch ihn zu gewinnen hofften. Innerlich stöhnte er über die erstickenden Bande gesellschaftlicher Konventionen und hätte sich am liebsten auf Saphira geschwungen, um mit ihr irgendwohin zu fliegen, wo er seine Ruhe hatte.
Hingegen bereitete es ihm Spaß, zu beobachten, wie die Gäste auf die beiden Urgals reagierten, die hinter Nasuadas aufragten. Einige taten so, als würden sie die gehörnten Krieger gar nicht bemerken - obgleich Eragon an ihren hastigen Bewegungen und dem schrillen Tonfall erkannte, dass die Kull sie in Panik versetzten. Andere funkelten sie an und ließen die ganze Zeit die Hände auf den Griffen ihrer Schwerter und Dolche liegen, während wieder andere meinten, ihre Tapferkeit beweisen zu müssen, indem sie die gewaltige Kraft der Ungetüme infrage stellten und über ihre eigene prahlten. Nur wenigen schien der Anblick der Gehörnten überhaupt nichts auszumachen. Allen voran Nasuada, aber auch König Orrin, Trianna und ein Graf, der erzählte, er habe als kleiner Junge beobachtet, wie Morzan und sein Drache eine ganze Stadt in Schutt und Asche legten.
Als Eragon es nicht mehr aushielt, stieß Saphira ein tiefes, summendes Knurren aus, das den Spiegel wackeln ließ. Im Pavillon herrschte plötzlich Stille. Das Knurren war nicht besonders bedrohlich, aber es machte den Anwesenden klar, dass der Drache allmählich unruhig wurde. Niemand war so töricht, Saphiras Geduld auf die Probe zu stellen. Mit eilig vorgebrachten Entschuldigungen rafften die Leute ihre Sachen zusammen, verließen nacheinander das Kommandozelt und beschleunigten noch einmal ihre Schritte, als Saphira mit den Klauen auf den Boden schlug.
Nasuada seufzte, als hinter dem letzten Besucher die Zeltplane zufiel. »Danke, Saphira. Es tut mir leid, dass ich euch dieser öffentlichen Zurschaustellung aussetzen musste, aber wie ihr wisst, nehmt ihr unter den Varden eine herausragende Stellung ein, und ich kann euch nicht mehr für mich allein beanspruchen. Ihr gehört jetzt dem ganzen Volk. Die Leute möchten, dass ihr sie erkennt und ihnen Zeit widmet. Weder ihr noch Orrin oder ich können uns ihren Wünschen widersetzen. Nicht einmal Galbatorix könnte das, aber er macht sich sein Volk ja mit magischen Mitteln untertan.«
Da die Gäste nun fort waren, legte König Orrin sein monarchisches Gebaren ab. Seine würdevolle Miene entspannte sich und nahm einen Ausdruck tiefer Erleichterung und überschäumender Neugier an. Er ließ die Schultern unter der steifen Robe kreisen und sah Nasuada an: »Ich denke, Eure Nachtfalken können jetzt gehen.«
»Das stimmt.« Mit einem Händeklatschen schickte Nasuada die Männer aus dem Zelt.
König Orrin zog den freien Stuhl zur Varden-Anführerin hinüber und ließ sich mit ausgestreckten Beinen, um die sich sein Gewand bauschte, darauf nieder. »So«, sagte er, während sein Blick zwischen Eragon und Arya hin und her wanderte, »nun berichte mir in aller Ausführlichkeit von deinen Taten, Eragon Schattentöter. Bisher habe ich nur vage Erklärungen gehört, weshalb du am Helgrind geblieben bist. Ich bin der Ausflüchte und ausweichenden Antworten
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