Die Weisheit des Feuers
Er wusste, dass Angela ihren Kunden nur sehr selten die Drachenknochen las. Normalerweise war es jenen vorbehalten, mit denen Solembum zu sprechen geruhte. Denn bei den Prophezeiungen handelte es sich nicht um einen magischen Trick, sondern um einen Blick hinter die Schleier, die die Zukunft verbargen. Dass Angela die Frau mit den vernarbten Handgelenken und die Halbwüchsige mit den Unterarmen eines Schwertkämpfers ausgewählt hatte, verriet ihm, dass die beiden bei der Errichtung des neuen Alagaësia eine wichtige Rolle spielten und bereits gespielt hatten. Wie zur Bestätigung erblickte er in diesem Moment Solembum, der in seiner gewohnten Katzengestalt hinter einer Zeltecke lauerte und ihn aus seinen geheimnisvollen gelben Augen ansah. Und doch zögerte Eragon, geplagt von der Erinnerung an seine erste und bisher einzige Segnung, bei der er einem unschuldigen Kind jede Aussicht auf ein normales Leben verbaut hatte, nur weil er noch nicht vertraut genug mit der alten Sprache gewesen war.
Saphira?,
fragte er.
Ihr Schwanz schnellte durch die Luft.
Zögere nicht länger. Du hast aus deinem Fehler gelernt und wirst ihn nicht wiederholen. Warum solltest du diesen Menschen deinen Segen vorenthalten, wenn du ihnen damit helfen könntest? Tu es einfach, aber mach es diesmal richtig.
»Wie heißt ihr beiden?«, fragte er.
»Namen besitzen Macht«, sagte die schwarzhaarige Frau mit einem leichten Akzent, den er nicht einordnen konnte. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, Schattentöter, würden wir unsere lieber nicht nennen.« Sie hielt den Blick gesenkt, aber ihre Stimme klang fest und entschlossen. Ihre Anmaßung schien das Mädchen zu erschrecken, denn es stieß ein leises Keuchen aus.
Eragon nickte, weder verärgert noch überrascht. Aber seine Neugier war geweckt, und er hätte die Namen gerne erfahren, auch wenn er sie nicht unbedingt für das brauchte, was er nun tun würde. Er zog den rechten Handschuh aus und legte der Frau die Hand auf die Stirn. Sie zuckte zusammen, wich aber nicht vor ihm zurück. Ihre Nasenlöcher bebten, ihre Mundwinkel wurden schmal. Er spürte ihr Zittern, als würde ihr seine Berührung Schmerzen bereiten und sie müsse gegen den Drang ankämpfen, seinen Arm zur Seite zu stoßen. Eragon registrierte verschwommen, dass Bloëdhgarm näher trat, um sich auf die Frau zu stürzen, sollte sie Eragon angreifen.
Verwirrt von ihrer Reaktion, senkte Eragon seinen geistigen Schutzwall, tauchte in den Strom seiner magischen Kräfte ein und sagte in der alten Sprache:
»Atra Gülai un Ilian tauthr ono un atra ono Waíse sköliro frá Rauthr.«
Indem er den Satz mit seiner Zauberkraft durchdrang, stellte er sicher, dass die Worte den Lauf der Ereignisse beeinflussen und dadurch das Schicksal der Frau zum Besseren wenden würden. Dabei achtete er darauf, die in den Segen übertragene Energie zu begrenzen. Denn dieser Zauber speiste sich aus seiner Lebenskraft und konnte sie ihm vollständig entziehen, falls er dem magischen Strom keinen Einhalt gebot. Trotz seiner Vorsicht war der Kraftverlust größer als erwartet. Ihm wurde schwummrig, die Knie drohten unter ihm nachzugeben und einen Moment lang glaubte er, er würde zusammenbrechen.
Aber kurz darauf ging es wieder.
Mit einem Gefühl der Erleichterung nahm er die Hand weg. Auch die Frau schien froh zu sein, dass es vorüber war, denn sie trat zurück und rieb sich die Arme, als müsse sie sich reinwaschen.
Dann wiederholte er die Prozedur bei dem Mädchen. Ihr Gesicht weitete sich, als er den Zauber wirkte, als würde sie spüren, wie der Segen Teil ihres Körpers wurde. Sie machte einen Knicks. »Danke, Schattentöter. Wir stehen in Eurer Schuld. Ich hoffe, Ihr werdet Galbatorix und das Imperium besiegen.«
Sie wandte sich ab, um zu gehen, doch dann hielt sie inne, als Saphira schnaubend den Kopf vorschob und erst der Frau und danach dem Mädchen ins Gesicht hauchte.
Viel Glück, Jägerinnen,
sagte sie zu den beiden.
Möge der Wind eure Schwingen beflügeln und möge die Sonne immer in eurem Rücken stehen. Möget ihr eure Beute im Schlaf überraschen. Und, Wolfsauge, wenn du denjenigen gefunden hast, in dessen Falle du getappt bist, dann töte ihn nicht zu schnell.
Beide Frauen standen wie erstarrt da, während Saphira im Geiste zu ihnen sprach. Am Ende schlug die Ältere sich mit der Faust an die Brust und sagte: »Ich werde deinen Wunsch beherzigen, oh wundervolle Jägerin.« Anschließend verbeugte sie sich vor Angela. »Leb
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