Die Weisheit des Feuers
Körper zu entfernen. Die Anstrengung erschöpfte ihn, aber er war froh, die Frau vor einem langen qualvollen Tod bewahrt zu haben.
Danach trat Eragon vor das Zelt, stellte sich eine Weile zu Saphira und massierte ihre Nackenmuskeln. Genüsslich brummend wedelte sie mit dem Schwanz und verrenkte die Schultern, damit er besser herankam. Unterdessen sagte sie:
Während du drinnen beschäftigt warst, sind weitere Bittsteller erschienen und haben um eine Audienz bei dir gebeten. Aber Bloëdhgarm und sein Gefolge haben sie weggeschickt, denn in keinem Fall war Eile geboten.
Tatsächlich?
Er schob die Finger unter eine ihrer großen Halsschuppen und knetete den Muskel noch kräftiger.
Vielleicht sollte ich es wie Nasuada machen.
Wie meinst du das?
Am sechsten Tag jeder Woche gewährt sie von morgens bis abends jedem eine Audienz, der ein Anliegen hat oder einen Streit schlichten lassen will. Ich könnte das auch machen.
Die Idee gefällt mir,
sagte Saphira.
Aber du musst aufpassen, dass es dich nicht zu viel Kraft kostet, die Wünsche der Bittsteller zu erfüllen. Wir müssen jederzeit bereit sein, gegen das Imperium in den Kampf zu ziehen.
Sie rieb ihren Hals an seiner Hand, brummte noch lauter.
Ich brauche ein Schwert,
sagte Eragon.
Dann besorg dir eins.
Hm
...
Er massierte sie weiter, bis sie den Kopf zurückzog und sagte:
Du musst dich beeilen, sonst kommst du noch zu spät.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu Nasuadas Pavillon im Zentrum des Lagers. Es war weniger als eine Viertelmeile, deshalb ging Saphira zu Fuß, statt wie sonst lieber zwischen den Wolken hindurchzusausen.
Etwa hundert Schritte vor dem Pavillon stießen sie zufällig auf Angela. Die Kräuterheilerin hockte zwischen zwei Zelten und deutete auf ein viereckiges Stück Leder auf dem Boden. Darauf lag ein Häuflein glatter Knochen, jeder etwas länger als ein Finger und mit Runen und Symbolen versehen: Es waren die Fußknochen eines Drachen, mit denen sie Eragon in Teirm die Zukunft vorausgesagt hatte.
Angela gegenüber saß eine hochgewachsene, breitschultrige Frau mit gebräunter, wettergegerbter Haut. Ihr schwarzes Haar war zu einem dicken, langen Zopf geflochten. Obwohl die Jahre ihr scharfe Falten um den Mund gegraben hatten, war ihr Gesicht immer noch hübsch. Sie trug ein rostfarbenes Kleid, das eigentlich für eine kleinere Frau gemacht worden war. Die Unterarme ragten mehrere Zoll aus den Ärmeln. Um die Handgelenke hatte sie schwarze Stofftücher gewickelt, aber am linken war das Tuch verrutscht und gab nun den Blick auf hässliche, wulstige Narben frei. Es war die Art von Narben, die zurückblieben, wenn das Fleisch ohne Unterlass an eisernen Handschellen gescheuert hatte. Ihm wurde klar, dass die Frau in Gefangenschaft gewesen sein musste und sich so sehr dagegen gewehrt hatte, dass sie sich die Handgelenke bis auf die Knochen aufgerissen hatte. Er fragte sich, ob sie eine Banditin oder Sklavin gewesen war, und seine Miene verdüsterte sich bei dem Gedanken, wie jemand so grausam sein konnte, eine solche Verstümmelung zuzulassen, auch wenn die Frau sie sich selbst zugefügt hatte.
Neben der Fremden stand ein halbwüchsiges Mädchen, dessen Schönheit gerade erst zu erblühen begann. Es hatte ungewöhnlich kräftige Unterarme, als wäre es bei einem Schmied oder Schwertmeister in die Lehre gegangen, was für ein Mädchen allerdings höchst unwahrscheinlich war, aller Kraft zum Trotz.
Angela hatte eben etwas zu der Frau und ihrer jungen Begleiterin gesagt, als Eragon und Saphira hinter der Heilerin stehen blieben. Mit einer einzigen fließenden Bewegung hob Angela die Knochen in dem Lederviereck auf und schob sie sich unter die gelbe Schärpe um ihrer Taille. Sie stand auf und warf Eragon und Saphira ein strahlendes Lächeln zu. »Du meine Güte, ihr beide habt das Talent, immer im rechten Moment aufzutauchen. Gerade habe ich den beiden die Knochen gelegt und entlasse sie nun in ihr Schicksal.«
»Die
Knochen gelegt
?«, wiederholte Eragon.
Sie hob die Schultern. »Ist ja gut! Selbst von mir kann man nicht erwarten, dass ich mich immer brillant ausdrücke.« Sie deutete auf die Fremden, die sich ebenfalls erhoben hatten. »Eragon, wärst du bereit, ihnen deinen Segen zu geben? Sie haben viele Gefahren durchlitten und ihnen steht noch ein schwerer Weg bevor. Sicherlich würden sie es hoch zu schätzen wissen, welchen Schutz auch immer der Segen eines Drachenreiters ihnen bieten mag.«
Eragon zögerte.
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