Die Weisheit des Feuers
seelische. Ich fühle sie, als wären es meine, und der Fluch von Eragons Zauber verdammt mich dazu, das Leiden der Unglücklichen zu lindern, egal welche Anstrengung es mich kostet. Und wenn ich mich dagegen wehre wie in diesem Moment, rebelliert mein ganzer Körper. Der Magen dreht sich mir um, mein Kopf dröhnt, als würde ein Zwerg darauf herumhämmern, und ich kann mich kaum noch bewegen, geschweige denn nachdenken. Verlangst du das tatsächlich von mir, Nasuada?
Tag und Nacht verfolgt mich die Not der Welt. Seit Eragon mich gesegnet hat, habe ich nur noch Angst und Schmerz erlebt, niemals Glück und Fröhlichkeit. Die schönen Stunden des Lebens, das, was unser Dasein erträglich macht, bleiben mir verwehrt. Nie sehe ich das Licht, immer nur Finsternis. Ewig zerrt das geballte Elend aller Männer, Frauen und Kinder im Umkreis von einer Meile an mir wie ein Sturm um Mitternacht. Dieser unselige Segen hat mich meiner Kindheit beraubt, meinen Körper gezwungen, allzu früh erwachsen zu werden, und meine Seele erst recht. Eragon kann vielleicht diese unheilvolle Gabe und den Zwang, den sie mir aufbürdet, von mir nehmen. Aber er kann mich nicht wieder zu dem machen, was ich einmal war, oder zu dem, was ich hätte sein sollen - ohne das zu zerstören, wozu ich geworden bin. Ich bin eine Missgeburt, weder Kind noch Erwachsene; für immer dazu verdammt abseitszustehen. Ich bin nicht blind, Nasuada. Ich sehe genau, wie du jetzt nachdenklich wirst.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist wirklich zu viel verlangt. Ich werde nicht so weitermachen, nicht dir zuliebe, nicht für die Varden oder ganz Alagaësia, nicht einmal für meine liebe Mutter, wäre sie noch am Leben. Nichts ist das wert. Ich könnte mich natürlich völlig von der Welt abkapseln, sodass mich das menschliche Leid nicht mehr berührt, aber so will ich nicht leben. Nein, es gibt keine andere Lösung: Eragon muss versuchen, seinen Fehler zu korrigieren.« Ihr Mund verzog sich zu einem listigen Lächeln. »Und falls du anderer Meinung bist und mich für dumm und egoistisch hältst, möchte ich dich daran erinnern, dass ich praktisch ein Wickelkind bin, das noch nicht mal seinen zweiten Geburtstag gefeiert hat. Nur Dummköpfe erwarten von einem Säugling, dass er ein Martyrium auf sich nimmt, um die Welt zu retten. Aber Wickelkind hin oder her, meine Entscheidung steht fest, und nichts, was du sagst, kann mich umstimmen.«
Nasuada drang weiter in sie, aber Elva ließ sich nicht erweichen. Schließlich bat Nasuada Angela, Eragon und Saphira um Hilfe. Angela lehnte mit der Begründung ab, sie könne es auch nicht besser ausdrücken als Nasuada, und außerdem sei es Elvas ganz persönliche Entscheidung. Man müsse es ihr überlassen und dürfe nicht über sie herfallen wie ein Schwarm Krähen über eine junge Amsel. Eragon war derselben Meinung, aber er erlaubte sich zu sagen: »Elva, ich kann dir nicht raten, was du tun sollst - du allein musst das entscheiden -, aber lehne Nasuadas Bitte nicht vorschnell ab. Sie versucht nur, uns alle von Galbatorix zu erlösen, und dazu braucht sie unsere Unterstützung, wenn wir irgendeine Chance auf Erfolg haben wollen. Ich weiß nicht, was die Zukunft uns bringt, aber ich glaube, dass du die perfekte Waffe gegen Galbatorix wärst. Du könntest jeden seiner Angriffe voraussehen und uns genau sagen, wie wir seine Schutzzauber außer Kraft zu setzen vermögen. Und vor allem würdest du spüren, wo Galbatorix’ Schwachstellen liegen und wir ihn am ehesten verwunden könnten.«
»Da musst du dir schon etwas Besseres ausdenken, Drachenreiter, wenn du mich umstimmen willst.«
»Das will ich gar nicht«, sagte Eragon. »Ich möchte nur sicher sein, dass du dir die Sache gut überlegt hast und keine überstürzte Entscheidung triffst.«
Das Mädchen rutschte ein wenig auf seinem Stuhl hin und her, antwortete aber nicht.
Da fragte Saphira:
Was sagt dir dein Herz, oh Schimmerstirn?
Elva antwortete in sanftem Tonfall und ohne die geringste Bosheit: »Ich
habe
mein Herz sprechen lassen, Saphira. Alles andere wäre überflüssig.«
Nasuada ließ sich nicht anmerken, ob sie über Elvas Widerspenstigkeit erbost war. Sie zeigte sich ernst, was jedoch der Situation nur angemessen war, und sagte: »Ich heiße deine Entscheidung nicht gut, Elva, aber wir werden uns damit abfinden müssen, denn offensichtlich können wir dich nicht umstimmen. Vermutlich kann ich dir daraus keinen Vorwurf machen, denn ich muss das Leid,
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