Die Weisheit des Feuers
Feuerschwert, und das hat unsere Zahl immer wieder dezimiert. Unsere Frauen nehmen keinen Gehörnten als Brutpartner, solange er sich nicht in der Schlacht bewiesen und mindestens drei Feinde getötet hat. Und die Freude, die man im Kampf verspürt, gleicht keinem anderen Gefühl. Aber nur weil wir den Kampf lieben, bedeutet das nicht, dass wir uns nicht unserer Fehler bewusst sind. Galbatorix wird uns alle töten, falls er die Varden besiegt. Und solltet ihr den schlangenzüngigen Verräter stürzen, wird unser Volk von dir und Nasuada ausgelöscht, wenn wir uns nicht von Grund auf ändern. Ist es nicht so, Feuerschwert?«
Eragon nickte zögerlich. »Gut möglich.«
»Deshalb ist es falsch, ewig vergangenes Unrecht anzuprangern. Wenn wir nicht vergessen können, was sich unsere Völker in der Vergangenheit angetan haben, dann wird es zwischen Menschen und Urgals niemals Frieden geben.«
»Falls wir Galbatorix besiegen und Nasuada euch das versprochene Land gibt, was sollen wir dann tun, wenn eure Kinder in zwanzig Jahren wieder anfangen, zu morden und zu plündern, um eine Brutpartnerin für sich gewinnen zu können? Du kennst die Geschichte deines Volkes, Garzhvog, und du weißt, dass es immer so gekommen ist, wenn die Urgals ein Friedensabkommen geschlossen haben.«
Mit einem tiefen Seufzer sagte der Kull: »In diesem Fall können wir nur hoffen, dass jenseits des Ozeans noch andere Urgals leben, die klüger sind als wir, denn uns wird es dann nicht mehr geben.«
In dieser Nacht sprach keiner mehr ein Wort. Garzhvog drehte sich auf die Seite und schlief auf dem Boden ein. Eragon hüllte sich in seinen Umhang, und mit dem Rücken an den Baumstumpf gelehnt, beobachtete er den Lauf der Sterne, während er langsam in seine Wachträume hinüberglitt.
Gegen Ende des nächsten Tages kam das Beor-Gebirge in Sicht. Anfangs waren die Berge nicht mehr als geisterhafte Schatten am Horizont, gezackte weiße und purpurne Flächen. Aber als der Abend näher rückte, zeichneten sich allmählich genauere Konturen ab. Am Fuß der Berge konnte Eragon die dunklen Wälder erkennen, darüber die schnee- und eisbedeckten Steilhänge und noch weiter oben die kahlen grauen Felsgipfel. Sie lagen so hoch, dass dort keine Pflanzen mehr wuchsen und auch kein Schnee mehr fiel. Wie beim ersten Mal, als er das Beor-Gebirge erblickt hatte, überwältigte ihn seine schiere Größe. Die Berge waren im Durchschnitt zehn Meilen hoch, einige noch höher. Sein Verstand sagte ihm, dass es etwas so Gewaltiges gar nicht geben konnte, und doch wusste er, dass seine Augen ihn nicht betrogen.
Eragon und Garzhvog legten in dieser Nacht keine Pause ein, sondern rannten unentwegt weiter. Am Morgen wurde es zwar hell, aber wegen der Bergriesen dauerte es bis zum Mittag, bis zwischen den Gipfeln die ersten Sonnenstrahlen hervorbrachen und breite Lichtschneisen über das noch schattengraue Land warfen. Eragon blieb einige Minuten am Ufer eines Baches stehen und betrachtete in stiller Bewunderung das Schauspiel.
Während sie neben den Bergen entlangeilten, fühlte sich Eragon mit zunehmendem Unbehagen an seine Flucht von Gil’ead nach Farthen Dûr zusammen mit Murtagh, Saphira und Arya erinnert. Er glaubte sogar, die Stelle wiederzuerkennen, an der sie nach der Durchquerung der Hadarac-Wüste ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten.
Die langen Tage und noch längeren Nächte vergingen zum einen unerträglich langsam, gleichzeitig aber auch überraschend schnell. Jede Stunde glich der vorangegangenen, was Eragon nicht nur das Gefühl gab, als würde ihre Tortur niemals enden, sondern auch als hätte es sie zum großen Teil gar nicht gegeben.
Als er und Garzhvog die gewaltige Schlucht erreichten, die die Bergkette auf mehrere Meilen von Norden nach Süden spaltete, folgten sie ihr und eilten zwischen den kalten, gleichgültigen Gipfeln hindurch. Am Bärenzahnfluss - der aus dem engen Tal kam, das nach Farthen Dûr führte - wateten sie durch das eisige Wasser und hielten sich weiter nach Süden.
In der Nacht, bevor sie sich ostwärts ins eigentliche Gebirge wagen würden, schlugen sie ihr Lager an einem kleinen Teich auf und ruhten sich aus. Mit seiner Schleuder erlegte Garzhvog einen weiteren Hirsch, diesmal einen Bock, und beide konnten sich satt essen.
Später saß Eragon vornübergebeugt da und flickte ein Loch im Schaft seines Stiefels, als ihn ein unheimliches Heulen aufschreckte und seinen Pulsschlag zum Rasen brachte. Er starrte in die
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