Die Weisheit des Feuers
Eisen, um eine heransausende Klinge abzuwehren und aufzuhalten. Eragon dagegen trug keinen Schild; er brauchte beide Hände, um den Rotdornstab zu führen.
Auf den Rücken schnallte er sich den Köcher, gefüllt mit zwanzig schwanenfederbesetzten Pfeilen, die Königin Islanzadi ihm geschenkt hatte. Der bereits gespannte Bogen mit den Silbereinlagen, den die Königin ihm aus einer Eibe gesungen hatte, hing schon außen am Köcher an dem dafür vorgesehenen Haken.
Saphira scharrte ungeduldig mit den Krallen in der Erde.
Lasst uns losfliegen!
Eragon und Roran ließen ihre Taschen und Vorräte am Ast eines Wacholderbaumes hängen und kletterten auf ihren Rücken. Sie brauchten keine Zeit mit Satteln zu verschwenden; Saphira hatte das Gurtzeug die ganze Nacht über getragen. Das weiche Leder schmiegte sich warm, fast schon heiß an Eragons Schenkel. Er hielt sich an der Halszacke vor ihm fest - damit er sich bei plötzlichen Richtungsänderungen abstützen konnte -, während Roran einen kräftigen Arm um Eragons Taille schlang, in der anderen Hand seinen Hammer.
Eine Schieferplatte brach unter Saphiras Gewicht, als sie tief in die Hocke ging und dann mit einem einzigen schwindelerregenden Satz zum Rand der engen Schlucht hinaufsprang, wo sie einen Moment schwankte, bevor sie ihre riesigen Schwingen ausbreitete. Die dünnen Flügelhäute flatterten im Wind, als Saphira sie zum Himmel emporstreckte. So aufgerichtet sahen sie aus wie zwei durchscheinende blaue Segel.
»Nicht so fest«, knurrte Eragon.
»Entschuldigung.« Roran lockerte die Umklammerung ein wenig.
Es wurde unmöglich, sich weiter zu unterhalten, nachdem Saphira sich erneut vom Boden abstieß. Am höchsten Punkt ihres Sprunges ließ sie kraftvoll die Schwingen hinabschnellen und gewann weiter an Höhe. Mit jedem neuen Flügelschlag stiegen die drei näher zu der lang gezogenen Wolkenschicht auf, die sich von Osten nach Westen erstreckte.
Als Saphira zum Helgrind abdrehte, konnte Eragon links von ihnen in einigen Meilen Entfernung einen Teil des Leona-Sees erkennen. Graue, im trüben Morgenlicht gespenstisch schimmernde Dunstschwaden wallten vom Wasser auf, als würde dort unten ein Hexenfeuer brennen. Selbst seine Adleraugen konnten weder das ferne Ufer noch die südlichen Ausläufer des Buckels erspähen, was er schade fand. Er hatte die Berge seiner Kindheit nicht mehr gesehen, seit er das Palancar-Tal verlassen hatte.
Im Norden lag Dras-Leona, ein riesiges, massiges Gebilde, das sich als klotziger Schattenriss vor der Nebelwand abzeichnete, die im Westen an die Stadt stieß. Das einzige Gebäude, das Eragon erkennen konnte, war die Kathedrale, in der die Ra’zac ihn angegriffen hatten. Der umkränzte Kirchturm überragte die Stadt wie eine Speerspitze mit Widerhaken.
Und irgendwo in dem Gebiet, das unter ihnen vorbeizog, befanden sich die Überreste des Nachtlagers, wo die Ra’zac Brom tödlich verwundet hatten. Er ließ alle Wut und Trauer über die Geschehnisse jenes Tages - und über Garrows Ermordung und die Zerstörung ihres Hofes - in sich aufsteigen, um Kraft zu tanken, nein, um seine
Begierde
auf den bevorstehenden Kampf gegen die Ra’zac zu wecken.
Eragon,
sagte Saphira.
Heute müssen wir keinen Schutzwall um unseren Geist legen und unsere Gedanken vor anderen verbergen, oder?
Nein, nur wenn ein anderer Magier auftaucht.
Ein Fächer aus goldenem Licht erstrahlte, als der obere Rand der Sonne den Horizont durchbrach. Augenblicklich erweckte das Farbenspektrum die eben noch graue Welt zum Leben: Der Nebel schimmerte weiß, das Wasser tiefblau, der mit Lehm verputzte Erdwall, der das Zentrum von Dras-Leona umschloss, offenbarte seine ockerfarbene Oberfläche, die Bäume leuchteten in satten Grüntönen und die Erde selbst schimmerte orangerot. Der Helgrind aber blieb so, wie er immer war - pechschwarz.
Der kahle Felsberg wurde rasch größer, während sie auf ihn zuflogen. Selbst aus der Luft wirkte er furchterregend.
Saphira stieß so steil zum Fuß des Helgrind hinab, dass Eragon und Roran hinuntergefallen wären, wenn sie sich nicht die Beine am Sattel festgeschnallt hätten. Sie rauschten über das geröllübersäte Feld und den Altar hinweg, wo die Priester des Helgrind die Zeremonie abgehalten hatten. Der Luftzug verfing sich in Eragons Helmöffnung und verursachte ein Heulen, das ihn fast taub machte.
»Und?«, brüllte Roran. Er konnte nichts sehen, weil er hinten saß.
»Die Sklaven sind weg!«
Ein gewaltiger
Weitere Kostenlose Bücher