Die Weisheit des Feuers
all derer, die vor uns waren, seit Gûntera die Welt aus Dunkelheit erschaffen hat. Das weiß ich.«
Eragon kniete sich neben sie. »Woher weißt du das?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Ich weiß es, weil es so ist.« Mit langsamen und respektvollen Bewegungen berührte Glûmra die Füße der Götterstatuen mit den Fingerspitzen. »Wie könnte es anders sein? Da die Welt sich ebenso wenig selbst erschaffen haben kann wie ein Schwert oder ein Helm und da nur Wesen mit göttlicher Macht die Erde und den Himmel zu schmieden vermochten, müssen wir bei den Göttern nach Antworten suchen. Ihnen vertraue ich, dass sie die Geschicke der Welt leiten, und dieses Vertrauen befreit mich von der Last meines Fleisches.«
Sie sprach mit solcher Überzeugung, dass Eragon plötzlich das Bedürfnis verspürte, ihren Glauben zu teilen. Er sehnte sich danach, alle Zweifel und Ängste von sich zu werfen, um zu glauben, dass das Leben nicht nur ein Chaos war, wie schrecklich die Welt manchmal auch sein mochte. Er wollte die Gewissheit haben, dass er nicht einfach aufhörte zu existieren, wenn ein Schwert ihm den Kopf abschlug, sondern dass er eines Tages mit Brom, Garrow und allen anderen, die ihm wichtig gewesen waren und die er verloren hatte, wieder vereint wäre. Eine verzweifelte Sehnsucht nach Hoffnung und Trost durchdrang ihn und brachte seine Welt zum Wanken.
Und doch…
Etwas hinderte ihn daran, an die Zwergengötter zu glauben und sein ganzes Sein sowie die Verantwortung für sein Wohlergehen an etwas zu binden, was er nicht verstand. Auch konnte er nur schwer glauben, dass, falls es Götter gab, die Zwergengötter die einzigen waren. Er wusste, würde er Nar Garzhvog, ein Stammesmitglied der Nomaden oder selbst die schwarzen Priester vom Helgrind fragen, ob ihre Götter existierten, sie würden die Überlegenheit ihrer Gottheiten ebenso vehement verteidigen wie Glûmra die der ihren.
Woher soll ich wissen, welche Religion die wahre Religion ist?,
fragte er sich.
Nur weil jemand einem bestimmten Glauben anhängt, muss das nicht notwendigerweise der richtige Pfad sein
...
Vielleicht kennt ja keine Religion die ganze Wahrheit, sondern jede besitzt nur Bruchstücke davon, und es ist unsere Aufgabe, diese Bruchstücke zu erkennen und zusammenzusetzen. Möglicherweise haben aber auch die Elfen recht und es gibt gar keine Götter. Nur, woher soll ich das wissen?
Mit einem tiefen Seufzer murmelte Glûmra einen Satz in ihrer Sprache, stand auf und zog den Seidenvorhang wieder zu. Eragon erhob sich ebenfalls und zuckte zusammen, als die vom Kampf wunden Muskeln gestreckt wurden. Er folgte ihr zum Tisch und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Die Zwergin holte zwei Zinnbecher aus einem steinernen Schrank, nahm einen Weinschlauch von einem Haken an der Decke und schenkte Eragon und sich ein. Sie hob den Becher, brachte einen Trinkspruch in der Zwergensprache aus, den Eragon nachzuahmen suchte, dann tranken sie gemeinsam.
»Es ist gut zu wissen«, meinte Glûmra, »dass Kvîstor weiterlebt und in diesem Augenblick in einem Gewand, das eines Königs würdig wäre, das Festmahl in Morgothals Halle genießt. Möge er im Dienste der Götter viel Ruhm ernten.« Sie trank einen Schluck.
Nachdem er seinen Becher geleert hatte, wollte sich Eragon von Glûmra verabschieden, aber die Zwergin kam ihm zuvor: »Hast du einen Unterschlupf für die Nacht, an dem du vor deinen Feinden sicher bist, Schattentöter?« Er erklärte ihr, dass er sich auf Oriks Geheiß unter Tronjheim versteckt halten solle, bis der Grimstborith ihm einen Boten schicken würde. Glûmra nickte knapp und entschlossen. »Dann musst du mit deinen Gefährten hier auf das Eintreffen des Boten warten, Schattentöter. Ich bestehe darauf.« Eragon begann zu protestieren, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich würde niemals zulassen, dass die Männer, die an der Seite meines Sohnes gekämpft haben, in diesen feuchten und dunklen Höhlen schmachten, solange ich noch einen Funken Leben in den Knochen habe. Ruf deine Gefährten herein, damit wir in dieser düsteren Nacht feiern und speisen.«
Eragon begriff, dass es Glûmra verletzen würde, wenn er ihr Angebot ablehnte, also holte er die Wachen und den Dolmetscher ins Haus. Gemeinsam halfen sie Glûmra, ein Mahl aus Brot, Fleisch und Pastete zuzubereiten. Als es fertig war, aßen, tranken und redeten sie bis spät in die Nacht. Glûmra war besonders lebhaft. Sie trank am meisten, lachte am lautesten und hatte immer einen
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