Die Weisheit des Feuers
gesenktem Blick und strich sich das Kleid glatt. »Weißt du, wer für diesen Angriff auf unseren Clan verantwortlich ist, Schattentöter?«
»Bisher haben wir nur einen Verdacht. Grimstborith Orik versucht gerade, die Wahrheit herauszufinden.«
»Waren es die Az Sweldn rak Anhûin?« Eragon versuchte, seine Überraschung über Glûmras Scharfsinn nicht allzu unverhohlen zu zeigen. Als er schwieg, fuhr die Zwergenfrau fort: »Wir alle wissen von ihrer Blutfeindschaft mit dir, Argetlam. Jeder Knurla in diesen Bergen weiß davon. Einige von uns haben ihre Feindseligkeit dir gegenüber mit Wohlwollen betrachtet, aber wenn sie wirklich geglaubt haben, dass sie dich einfach ermorden können, haben sie die Stimmung unter uns völlig falsch eingeschätzt und sich damit ins Verderben gestürzt.«
Eragon hob interessiert eine Braue. »Ins Verderben? Wieso?«
»Du hast Durza getötet, Schattentöter, und uns damit geholfen, Tronjheim und die Höhlen darunter vor Galbatorix zu bewahren. Solange Tronjheim steht, wird unser Volk das niemals vergessen. Außerdem hat es sich durch die Tunnel bis zu uns herumgesprochen, dass dein Drache Isidar Mithrim heilen will.«
Eragon nickte.
»Das ist gut, Schattentöter. Du hast viel für unser Volk getan, und welcher Clan auch immer dich angegriffen hat, wir werden uns gegen ihn wenden und diese Tat rächen.«
»Ich habe es vor Zeugen geschworen«, antwortete Eragon, »und ich schwöre es auch vor dir, dass ich die Drahtzieher hinter diesem heimtückischen Attentat bestrafen werde. Wer es auch war, er wird sich wünschen, er hätte seine böse Tat nie begangen. Aber...«
»Danke, Schattentöter.«
Eragon neigte zögernd den Kopf. »Aber wir dürfen nichts tun, was einen Clan-Krieg entfesseln könnte. Nicht jetzt. Wenn wir Gewalt anwenden müssen, dann sollte Grimstborith Orik entscheiden, wann und wo wir unsere Schwerter zücken, findest du nicht?«
»Ich werde über deine Worte nachdenken, Schattentöter«, antwortete Glûmra. »Orik ist...« Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Die schweren Lider senkten sich, sie sackte auf dem Stuhl nach vorn und presste die verstümmelte Hand gegen den Bauch. Als der Anfall vorüber war, zog sie sich an der Tischkante hoch, legte den Handrücken auf ihre Wange und schwankte. »Oh mein Sohn«, stöhnte sie. »Mein wunderschöner Sohn.«
Sie trat um den Tisch herum und taumelte zu einigen Schwertern und Äxten, die an der Wand hinter Eragon hingen, direkt neben einer Mauernische, die ein roter Seidenvorhang verbarg. In seiner Angst, Glûmra könne sich weitere Verletzungen zufügen wollen, sprang Eragon auf und warf dabei den Eichenstuhl um. Er streckte schon die Hand nach ihr aus, bemerkte jedoch im letzten Moment, dass sie zu dem Alkoven und nicht zu den Waffen trat. Blitzschnell zog er den Arm zurück, um sie nicht zu beleidigen.
Die Messingringe, die den Vorhang hielten, klirrten, als die Zwergin ihn zur Seite schob und ein tiefes, dunkles Regal enthüllte, in das Runen und Formen eingeschnitzt waren, so verschlungen und filigran, dass Eragon sie Stunden hätte anstarren können, ohne sie ganz zu erfassen. Auf dem untersten Regalbrett standen Statuen der sechs wichtigsten Zwergengötter sowie von neun anderen, die er nicht kannte. Bei allen waren Gesichtszüge und Pose überzeichnet, um die jeweilige Persönlichkeit zu verdeutlichen.
Glûmra zog ein Amulett aus Gold und Silber aus ihrem Mieder, küsste es und presste es gegen die Kehle, bevor sie sich vor die Nische kniete. Ihre Stimme hob und senkte sich in den fremdartigen Motiven der Zwergenmusik, als sie ein Klagelied in ihrer Muttersprache anstimmte. Eragon traten Tränen in die Augen. Glûmra sang eine Weile, bis sie schließlich verstummte und die Statuen anblickte. Dabei glätteten sich die tiefen Falten ihres gramverzerrten Gesichts und an die Stelle der Wut, Trauer und Verzweiflung traten Schicksalsergebenheit und erhabene Gelassenheit. Ihre Züge schienen sanft zu schimmern. Glûmras Veränderung war so vollkommen, dass Eragon sie fast nicht mehr erkannt hätte.
»Heute Nacht«, sagte sie, »wird Kvîstor in Morgothals Halle speisen. Das weiß ich.« Sie küsste das Amulett erneut. »Ich wünschte, ich könnte mit ihm das Brot brechen, zusammen mit meinem Gemahl Bauden, aber es ist noch nicht an mir, in den Katakomben von Tronjheim zu ruhen, und Morgothal lässt niemanden ein, der vor seiner Zeit kommt. Doch schon bald wird unsere Familie wieder vereint sein, einschließlich
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