Die Weisheit des Feuers
keinen Frieden finden. Sicher, du könntest dich in den entlegensten Winkel der Welt flüchten. Aber solange du dem Imperium den Frieden bringen willst, wirst du eines Tages unweigerlich Galbatorix gegenüberstehen. Tut mir leid, Eragon, aber so ist es nun mal. Ich habe gegen viele Magier und etliche der Abtrünnigen gekämpft und bis jetzt habe ich meine Gegner immer geschlagen.« Die Sorgenfalten auf seiner Stirn wurden tiefer. »Na ja, bis auf einen, aber da war ich noch nicht ausgewachsen. Jedenfalls war der Grund, warum ich immer triumphiert habe, der, dass ich im Gegensatz zu den meisten anderen meinen Verstand benutzt habe. Verglichen mit Galbatorix bin ich kein starker Magier und du bist es auch nicht, aber bei einem Zweikampf zwischen Magiern ist
Intelligenz
noch wichtiger als Stärke. Man besiegt einen Magier nicht, indem man blindlings auf seinen Geist eindrischt. Nein, um ihn zu schlagen, muss man erst herausfinden, wie er denkt und reagiert. Dann kennst du seine Schwachstellen und kannst ihn dort gezielt angreifen. Der Trick besteht nicht darin, sich einen völlig neuen Zauber auszudenken, den noch keiner kennt. Der Trick ist, einen zu finden, den dein Gegner übersehen hat, und ihn zu nutzen. Der Trick besteht nicht darin, die Barrieren in jemandes Geist mit Gewalt zu durchbrechen, der Trick ist, unter den Barrieren hindurch- oder an ihnen vorbeizuschlüpfen. Niemand ist allwissend, Eragon, vergiss das nicht. Galbatorix hat vielleicht ungeheure Macht, aber auch er kann nicht alles voraussehen. Egal was du tust, bleib immer beweglich in deinem Denken. Du darfst dich nie so in eine Idee verrennen, dass du nichts anderes mehr siehst. Galbatorix ist wahnsinnig und deshalb unberechenbar, aber seine Gedankengänge haben Lücken, die andere nicht haben. Wenn du sie findest, Eragon, dann könnt ihr ihn vielleicht vernichten.«
Mit ernster Miene ließ Brom die Pfeife sinken. »Ich hoffe, ihr schafft es. Mein größter Wunsch ist, dass ihr beide ein langes, fruchtbares Leben lebt, ohne Angst vor Galbatorix und dem Imperium. Ich wünschte, ich könnte euch vor all diesen Gefahren beschützen, aber leider liegt das nicht in meiner Macht. Ich kann dir nur diese Ratschläge geben und dir
jetzt
so viel wie möglich beibringen, solange ich noch da bin... Mein Sohn. Was auch geschieht, du sollst immer wissen, dass ich dich liebe, und das hat auch deine Mutter getan. Mögen die Sterne über dich wachen, Eragon Bromsson.«
Während Broms letzte Worte in Eragons Kopf nachhallten, löste sich die Erinnerung langsam auf und ließ nur Dunkelheit zurück. Eragon schlug die Augen auf und bemerkte verlegen, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Er lachte erstickt und wischte sich mit dem Hemdzipfel über die Augen.
Brom hatte tatsächlich Angst, ich würde ihn hassen,
sagte er schniefend.
Ist alles in Ordnung?,
fragte Saphira.
Ja,
sagte Eragon und hob den Kopf.
Wird schon wieder. Ein paar Dinge, die Brom getan hat, gefallen mir nicht, aber ich bin stolz darauf, ihn meinen Vater zu nennen und seinen Namen zu tragen. Er war ein großartiger Mensch... Ich finde es nur schade, dass ich nie die Gelegenheit hatte, mit meinen Eltern als Sohn zu reden.
Immerhin war dir eine gewisse Zeit mit Brom vergönnt. Ich hatte weniger Glück. Meine Eltern starben lange, bevor ich geschlüpft bin. Ich kann sie höchstens in ein paar verschwommenen Erinnerungen von Glaedr sehen.
Eragon legte ihr die Hand auf den Hals, und sie trösteten sich gegenseitig, so gut es ging, während sie am Rand der Felsen von Tel’naeír standen und auf den Elfenwald hinabschauten.
Kurz darauf erschien Oromis wieder vor der Hütte und brachte zwei Schüsseln Suppe mit. Eragon und Saphira wandten sich von den Klippen ab und kehrten langsam zu dem kleinen Tisch neben Glaedrs massiger Gestalt zurück.
GERAUBTE SEELEN
A ls Eragon seine leere Schüssel wegschob, fragte Oromis: »Möchtest du ein Fairith von deiner Mutter sehen?« Eragon erstarrte einen Moment lang, dann sagte er erstaunt: »Ja, bitte.«
Aus den Falten seines weißen Gewandes zog Oromis eine dünne graue Schieferplatte hervor und reichte sie ihm.
Der Stein fühlte sich kühl und glatt zwischen Eragons Fingern an. Er wusste, auf der anderen Seite würde er ein perfektes Abbild seiner Mutter vorfinden, das ein Elf vor vielen Jahren mittels Magie auf die mit Farbpigmenten vorbehandelte Steintafel projiziert hatte. Zitternde Unruhe ergriff ihn. Er hatte sich immer
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