Die Weisheit des Feuers
zusätzlich auf Sloans Energie - mochte sie auch noch so dürftig sein. Zusammen sanken sie wie zwei seltsame Vögel an der zerklüfteten Flanke des Helgrind zum nächsten Felsvorsprung hinab, der ihnen sicheren Stand versprach.
Auf diese Weise inszenierte Eragon ihren Abstieg. Dabei achtete er darauf, sich ständig ein wenig nach rechts zu orientieren, sodass sie sich nach und nach um den Fels herumwanden und das Bergmassiv ihn und Sloan vor den Blicken der Reiter verbarg.
Je näher sie dem Erdboden kamen, desto langsamer wurden sie. Eine erdrückende Müdigkeit überfiel Eragon und verkürzte die Strecken, die er auf ein Mal zurücklegen konnte. Es fiel ihm zunehmend schwerer, sich in den Pausen zwischen den Kraftanstrengungen zu erholen. Bald erschien es ihm als eine höchst komplizierte und fast unerträglich mühselige Aufgabe, auch nur den Finger zu heben. Die Schläfrigkeit hüllte ihn in ihre warmen Falten und betäubte sein Denken und Fühlen, bis der härteste Fels seinen schmerzenden Muskeln wie ein weiches Kissen vorkam.
Als er endlich auf die sonnenverbrannte Erde sank - zu erschöpft, um zu verhindern, dass er und Sloan hart aufschlugen -, lag er mit seltsam unter dem Brustkorb verrenkten Armen da und starrte mit halb geschlossenen Augen auf die zitronengelben Tupfen des kleinen Felsklumpens genau vor seiner Nase. Sloan wog so schwer auf seinem Rücken wie ein ganzer Stapel Eisenbarren. Die Luft wich aus Eragons Lungen, ohne dass frische sie füllte. Seine Wahrnehmung wurde trübe, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Sein Herzschlag flatterte und verlangsamte sich gefährlich.
Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, nur irgendwo im Hinterkopf war ihm bewusst, dass er gleich sterben würde. Doch das machte ihm keine Angst. Ganz im Gegenteil tröstete ihn die Aussicht. Der Tod würde ihn von seiner geschundenen Körperhülle befreien und ihm ewige Ruhe schenken.
Da kam eine Hummel von hinten über seinen Kopf hinweggeflogen, so groß wie sein Daumen. Sie umschwirrte sein Ohr, brummte an dem Felsbrocken entlang und inspizierte die Flecken, die so gelb waren wie die Butterblumen, die zwischen den Bergen blühten. Ihr Haarkleid glänzte im Morgenlicht - Eragon konnte jedes einzelne Härchen klar und deutlich erkennen - und die vibrierenden Flügel erzeugten einen sanften Trommelwirbel. Blütenstaub klebte an den Borsten ihrer Beine.
Die kleine Hummel war so lebendig und voller Energie, so schön, dass auch in Eragon der Überlebenswille neu erwachte. In einer Welt, in der es solche faszinierenden Geschöpfe gab, wollte er leben.
Mit reiner Willenskraft zog er die linke Hand unter den Rippen hervor und griff nach dem holzigen Stamm eines Busches in seiner Nähe. Wie ein Blutegel oder eine Zecke oder irgendein anderer Schmarotzer saugte er das Leben aus dem Gewächs, bis es schlaff und braun dalag. Der Energieschub, der Eragon daraufhin durchflutete, schärfte seinen Geist. Nun befiel ihn Furcht. Nun, wo er weiterleben wollte, sah er in der Finsternis des Jenseits nur noch Grauen.
Er zog sich auf dem Bauch vorwärts, packte den nächsten Busch und holte sich auch dessen Lebenskraft, dann einen dritten und vierten und so fort, bis seine Kräfte wieder ganz hergestellt waren. Schließlich stand er auf und blickte auf die Spur der Verwüstung zurück. Ein bitterer Geschmack legte sich auf seine Zunge, als er sein Werk betrachtete.
Eragon wusste, dass er leichtsinnig mit der Magie umgegangen war. Sein rücksichtsloses Verhalten hätte beinahe seinen Tod bedeutet und dadurch die Varden zum sicheren Untergang verurteilt. Seine Dummheit ließ ihn noch im Nachhinein schaudern.
Brom hätte mir die Ohren lang gezogen,
dachte er.
Er kehrte zu Sloan zurück und hob den ausgemergelten Metzger hoch. Dann wandte er sich im Schutz eines ausgetrockneten Wassergrabens nach Osten und ließ den Helgrind hinter sich. Zehn Minuten später, als er stehen blieb, um sich nach etwaigen Verfolgern umzusehen, erkannte er am Fuße des Helgrind eine Staubwolke; die Reiter hatten den schwarzen Felsturm erreicht.
Er musste lächeln. Galbatorix’ Gefolgsleute waren zu weit weg, als dass die Magier unter ihnen seinen oder Sloans Geist ausmachen hätten können.
Bis sie die Leichen der Ra’zac entdeckt haben,
dachte er,
habe ich mindestens drei Meilen zurückgelegt. Dann werden sie mich wohl kaum noch finden können. Im Übrigen suchen sie ja nach einem Drachenreiter in der Luft und nicht nach einem
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