Die Weisheit des friedvollen Kriegers
Kräfte entwickelte, wie Socrates mir anfangs verheißen hatte. Ob ich doch noch ein Krieger von seiner Statur werden würde? Jetzt fühlte ich mich nicht mehr ausgeschlossen – im Gegenteil, ich fühlte mich manchmal sogar überlegen.
Wenn ein Freund über eine Krankheit klagte, wenn jemand mir seine Probleme erzählte, konnte ich guten Rat geben: Durch richtiges Essen, durch Disziplin und Verantwortung für sein eigenes Leben konnte man fast alle Schwierigkeiten meistern!
Jedes bestimmte Training führt zu ganz spezifischem Wachstum beziehungsweise Fortschritt. Mit regelmäßigen Sit-ups zum Beispiel stärken wir die Bauchmuskulatur. Daran ist überhaupt nichts Mysteriöses. Regelmäßiges Üben setzt Entschlusskraft und Disziplin voraus, hilft aber auch, sie herauszubilden.
Was allerdings meine Behauptung angeht, dass ich mich draußen bei jeder Temperatur wohlfühlte … na ja, sorry, das war auch ein bisschen übertrieben. Tibetische Mönche praktizieren tumo , eine Art Druckatmung, mit der sie ihre Körpertemperatur erhöhen. Wie es heißt, können sie in feuchte Tücher gehüllt bei Temperaturen unter Null dasitzen; die Körperwärme, die sie produzieren, wird so hoch, dass sogar die Tücher trocknen. Ich habe es auf diesem Gebiet auch zu einer gewissen Kompetenz gebracht, man muss aber ständig üben, um sie nicht gleich wieder zu verlieren. Und praktisch muss man einfach sagen, dass der Energiebedarf geringer ist, wenn man sich warm anzieht.
Was ich mit diesem Abschnitt eigentlich ausdrücken wollte, war, dass ich anfing, mich meinen Freunden überlegen zu fühlen, weil ich mir ein paar außergewöhnliche Fähigkeiten angeeignet hatte. Diese Form von Stolz ist genauso irregeleitet wie der von Spitzensportlern (beziehungsweise Doktoren oder Dichtern), die sich für etwas Besseres halten, nur weil sie etwas können, was andere nicht vermögen. Natürlich kann man es auf dem einen oder anderen Gebiet zu einer gewissen Kompetenz oder sogar zur Meisterschaft bringen. Solche körperlichen Fähigkeiten beeindrucken mich heutzutage aber bedeutend weniger als Akte der Freundlichkeit und des Mitgefühls.
Selbst wenn durch Übung der Geist klarer und fokussierter und der Körper elastischer wird, spiegelt das Gefühl von Über- (oder Unter-)legenheit nur die Illusion der Trennung wider, und das ist eine der Gefahren, die der Pfad birgt. Wenn wir unsere Leistungen (und inneren Kämpfe) aus der richtigen Perspektive betrachten, werden wir demütig und bescheiden. Stolz
ist völlig unangebracht. Niemand ist besser, keiner schlechter. Jeder von uns ist genau der, der er ist, und tut, was er tut. Kein Lob, kein Tadel. Nur leben und lernen.
Natürliche Atmung
»Macht nichts, Dan. Du musst dich nur entspannen beim Atmen. Ich hab dir ein bisschen geholfen – jetzt weißt du, wie es geht, wie natürliches Atmen sich anfühlt. Du wirst es immer wiederfinden. Du musst nur zulassen, dass es dich atmet, immer wieder, bis es von ganz alleine kommt. Die richtige Atemkontrolle löst alle inneren Knoten auf. Und wenn dies gelingt, wirst du ein ganz neues, körperliches Glücksgefühl entdecken.«
»Joseph«, sagte ich und umarmte ihn. »Ich weiß nicht, was du mit mir gemacht hast – aber ich danke dir, ich danke dir!«
Er strahlte mich an, mit diesem Lächeln, bei dem mir immer ganz warm wurde. Er stellte den Besen weg. »Herzliche Grüße an … Socrates.«
Es führte also kein Weg daran vorbei: Ich musste mich mit der bedeutendsten, grundlegendsten, der überlebenswichtigen Fähigkeit des Menschen beschäftigen: mit der Atmung.
Nun könnte man natürlich sagen, dass man auch durchs Leben kommt, ohne jemals bewusst mit dem Atem zu arbeiten. Die Atmung ist ein autonomes (automatisches) und in hohem Maß selbstregulierendes System: Wenn wir mehr Luft brauchen – beim Sport zum
Beispiel –, fangen wir unwillkürlich irgendwann an zu schnaufen. Das ergibt sich ganz von selbst.
Doch im Alltag atmen nur die wenigsten von uns so natürlich. Kleinkinder vielleicht noch, bei denen sich das Bäuchlein mit jedem Atemzug ausdehnt und wieder entspannt. Im Jugend- und frühen Erwachsenenalter dann – manchmal sogar schon früher – übt unser Denken Druck auf den Körper aus, sodass der Atem chronisch oder jedenfalls doch sehr häufig und in vielen Situationen eingeschnürt wird.
Jeder, der schon einmal die Disziplin aufbrachte, einen Tag lang, den ganzen Tag, auf seinen Atem zu achten, wird (in meinem Fall mit
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