Die Weisheit des friedvollen Kriegers
keine Rolle –, piesackten sie mich mit gut gemeinten Sticheleien.
Am wohlsten fühlen sich die Menschen, wenn sie mit Leuten zusammen sind, die ihnen ein gutes Selbstgefühl vermitteln. Die Disziplin, die wir an den Tag legen, kann andere veranlassen, über ihre eigenen Gewohnheiten nachzudenken. Wenn wir also einen höheren Pfad oder auch einfach nur einen anderen einschlagen, fühlen sich die, die ihn nicht gehen, nicht mehr ganz so wohl in ihrer Haut. Mitunter versuchen
Freunde, die weiterrauchen oder -trinken, sogar, jeden Versuch, damit aufzuhören, zu unterminieren.
Einen anderen Weg einzuschlagen, nicht mehr reinzupassen, kann den Charakter auf die Probe stellen und dazu führen, dass man sich neue Freunde sucht. Der Angst, dass eine Veränderung des Verhaltens oder Lebensstils uns Partnern oder Freunden entfremden könnte, müssen wir uns stellen. Jeder, der sich auf neues, unvertrautes Terrain vorwagt, bekommt es mit Trennungsängsten zu tun, mit der Angst, von der Gruppe ausgeschlossen zu werden. In solchen Momenten müssen wir uns vor Augen führen, dass nicht jeder auf der Welt ist, um irgendwo »reinzupassen«. Manche sind auch dafür da, Vorreiter zu sein.
Wenn uns Leute, die sich von einer Veränderung, die wir einleiten, bedroht fühlen, herabsetzen, können wir uns die Frage stellen: »Soll ich dem Gott der Meinung huldigen oder doch lieber auf den Gott (beziehungsweise die Göttin) meines Herzens hören? Lasse ich mich einschüchtern und passe ich mich an? Ist ›dazugehören‹ wirklich so eine hohe Tugend? Oder gehe ich lieber mit gutem Beispiel voran und lasse den anderen Raum und Zeit, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen?«
Ich hatte vielleicht Glück. Denn aufgrund unserer gemeinsamen Turnbegeisterung akzeptierten meine Mannschaftskameraden mich auch noch, als ich die Veränderungen durchmachte, die ich im Pfad des friedvollen Kriegers beschreibe. Aber ein bisschen komisch muss ich ihnen wohl doch manchmal vorgekommen sein. Deshalb war es für mich sehr hilfreich, in Socrates einen verständnisvollen Freund, Lehrer und ein tolles Vorbild zu haben.
Wenn der erste Reiz verfliegt
Mit der Zeit wurde ich aufsässig. »Soc, es macht keinen Spaß mehr mit dir. Du bist ein griesgrämiger, mürrischer Alter geworden. Du leuchtest auch gar nicht mehr.«
Er funkelte mich an: »Keine Tricks und magischen Kunststückchen mehr!« Das hatte ich nun davon! Keine Tricks, kein Sex, keine Pommes frites, keine Hamburger, keine Süßigkeiten, kein Spaß und keine Ruhe mehr! Regeln und Vorschriften – in der Tankstelle und außerhalb.
Man sagt ja gern, dass in den ersten vier Stunden einer Diät jeder Optimist sei. Das haben wir bestimmt alle schon mal gehört. Anders ausgedrückt: Wenn wir positive Veränderungen einleiten, versuchen, uns neue Gewohnheiten zuzulegen, Sport machen oder die Ernährung umstellen, sind wir am Anfang mit Feuereifer dabei und erzielen vielleicht sogar auch ganz schnell die ersten Erfolge.
Doch dann kommt es, wie es kommen muss. Stillstand tritt ein, und es stellt sich heraus, dass es nicht nur Hochs gibt, sondern auch Tiefs. Das Neue ist nicht mehr neu, sondern wird (nach drei Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren) zur Routine. Und irgendwann lässt dann die anfängliche Leidenschaft oder Motivation nach. Es macht keinen Spaß mehr, Freunden von (… nach Belieben ergänzen) zu erzählen. Dann sind wir auf uns selbst zurückgeworfen und müssen täglich aufs Neue entscheiden, ob wir bei der Stange bleiben oder nicht.
Als an diesem Punkt meiner Ausbildung bei Socrates das Neue ziemlich an Glanz verloren hatte, bekam ich
es zunehmend mit inneren Widerständen und nachlassender Begeisterung zu tun. In solchen Phasen fühlen wir uns wieder von unserm ehemaligen altvertrauten und insgesamt meistens auch bequemeren Lebensstil mit all seinen Gepflogenheiten angezogen. Zweifel steigen auf und wir sehnen uns nach der alten Lebensweise zurück. Was sollte daran eigentlich so schlimm gewesen sein?
Allein mit Willenskraft gegen das Trägheitsmoment der alten Gewohnheiten vorgehen zu wollen kommt dem Versuch gleich, einen Felsbrocken einen Hügel hochzurollen; der Druck, der damit einhergeht, erzeugt psychische Hitze, die durchaus reinigende, stärkende Wirkung hat. Aber brennen tut es trotzdem, und wir hören den süßen Gesang der Sirenen, die uns bedrängen, zum Gewohnten zurückzukehren, wie alle anderen zu sein, wieder in den Schoß der Herde aufgenommen zu werden, den
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