Die Weiße Burg
nippen. Sie hatte schon seit langer Zeit nicht mehr zugelassen, dass ihre Gefühle die Oberhand gewannen, aber sie wollte etwas beißen. Oder jemanden.
Auch Samitsu hielt eine Porzellantasse, aber sie hatte noch keinen Tropfen getrunken und auch den angebotenen Stuhl ignoriert. Die schlanke Schwester wandte sich von dem linken Kamin ab, in dessen Flammen sie geschaut hatte, und die Glöckchen in ihrem Haar bimmelten, als sie den Kopf schüttelte. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihr Haar richtig zu trocknen, und es hing ihr feucht und schwer auf den Rücken hinunter. Ihre haselnussbraunen Augen blicken unbehaglich. »Das ist kaum eine Frage, die ich einer Schwester stellen konnte, oder, Cadsuane? Und sie haben es mir bestimmt nicht erzählt. Wer würde das auch tun? Zuerst nahm ich an, sie hätten es wie Merise und Corele gemacht. Und die arme Daigian.« Ein kurzer Ausdruck von Mitleid flackerte über ihr Gesicht. Sie kannte den Schmerz genau, den Daigian wegen ihres Verlusts durchlitt. Den kannte jede Schwester, die über ihren ersten Behüter hinaus war, nur allzu gut. »Aber es ist offensichtlich, dass Toveine und Gabrelle beide zu Logain gehören. Ich glaube, Gabrelle geht mit ihm ins Bett. Wenn ein Bund geschlossen wurde, dann waren es die Männer, die ihn gemacht haben.«
»Dann haben sie den Spieß umgedreht«, murmelte Cadsuane in ihren Tee. Manche waren der Ansicht, dass so etwas nur fair war, aber sie hatte nie viel davon gehalten, fair zu kämpfen. Entweder man kämpfte oder man es ließ es sein, und es war nie ein Spiel. Fairness war etwas für Leute, die an der sicheren Seite standen und redeten, während die anderen bluteten. Unglücklicherweise konnte sie nur wenig tun, außer zu versuchen, eine Möglichkeit zu finden, die Ereignisse auszugleichen. Ausgleich war nicht das Gleiche wie Fairness. »Ich bin froh, dass Ihr mich wenigstens gewarnt habt, bevor ich Toveine und die anderen sehe, aber ich will, dass Ihr morgen nach Cairhien zurückkehrt.«
»Ich konnte nichts tun, Cadsuane«, sagte Samitsu verbittert. »Die Hälfte der Leute, denen ich einen Befehl gab, hat angefangen, ihn sich bei Sashalle bestätigen zu lassen, um zu sehen, ob er auch richtig war, und die andere Hälfte hat mir ins Gesicht gesagt, dass sie bereits etwas anderes befohlen hat. Lord Bashere hat sie überredet, die Behüter abreisen zu lassen - ich habe nicht die geringste Ahnung, wie er überhaupt von ihnen erfahren hat -, und sie hat Sorilea dazu überredet, und ich konnte nichts dagegen tun. Sorilea hat sich benommen, als wäre ich gerade von meinem Posten zurückgetreten! Sie begreift es nicht, und sie hat deutlich gemacht, dass sie mich für eine Närrin hält. Es ist völlig sinnlos, wenn ich zurückgehe, es sei denn, Ihr erwartet von mir, dass ich Sashalle die Handschuhe trage.«
»Samitsu, ich erwarte, dass Ihr sie im Auge behaltet, nichts weiter. Ich will wissen, was die Drachenverschworenen Schwestern tun, wenn weder ich noch die Weisen Frauen ihnen über die Schultern sehen und eine Rute halten. Ihr wart immer sehr aufmerksam.« Geduld war nicht immer ihre stärkste Seite, aber bei Samitsu brauchte man sie manchmal. Die Gelbe war aufmerksam und intelligent und meistens auch von einem starken Willen geprägt, ganz zu schweigen davon, dass sie am lebendigsten war, wenn es ums Heilen ging - zumindest bis Damer Flinn auf der Bildfläche erschienen war -, aber ihr Selbstvertrauen konnte auf erstaunliche Weise zusammenbrechen. Der Stock funktionierte bei Samitsu nie, aber ein Schulterklopfen schon, und es war albern, das, was funktionierte, nicht zu benutzen. Als Cadsuane sie daran erinnerte, wie klug sie war und wie geschickt im Heilen - das war bei Samitsu immer nötig; sie hätte in tiefe Depressionen verfallen können, weil es ihr nicht gelungen war, einen Toten zu heilen -, lebte die Schwester aus Arafel auf und gewann an Selbstbewusstsein.
»Ihr könnt sicher sein, dass Sashalle nicht ihre Strümpfe wechselt, ohne dass ich es weiß«, sagte sie energisch. In Wahrheit erwartete Cadsuane auch nicht weniger. »Aber wenn Ihr nichts gegen die Frage habt...« - mit neu erwachtem Selbstbewusstsein ließ Samitsu das gerade noch eben höflich klingen; sie war nicht schüchtern, es sei denn, ihr Selbstbewusstsein hatte einen Schlag erlitten - »... warum seid Ihr hier, im tiefsten Tear? Was hat der junge al'Thor vor? Oder sollte ich lieber sagen, was wollt Ihr, dass er tun soll?«
»Er hat etwas sehr Gefährliches
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