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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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unsere Sünden abbüßen. Soll Sergej nicht wiederkommen. Willst du ihn mir nehmen, so nimm ihn, aber bestrafe nicht diesen mit dem Tode. Wir sind alle der Blutsünde schuldig, aber bestrafe ihn nicht. Bestrafe ihn nicht! Dort ist er, dort …« Das Licht begann zu flimmern, ein langer, langer Strahl zog sich wie eine Kette bis in Jelenas Augen. In ihrer Ekstase sah sie plötzlich die Lippen in dem von einem goldenen Tuch umrahmten Gesicht sich öffnen, und die Augen wurden so wunderbar, daß Angst und trunkene Freude ihr das Herz sprengten, sie fiel zu Boden und blieb lange liegen.

    Durch die ganze Wohnung huschte wie ein trockener Windhauch Unruhe, jemand lief auf Zehenspitzen durchs Eßzimmer. Ein anderer klopfte leise und flüsterte: »Jelena … Jelena …« Sie wischte mit dem Handrücken die feuchtkalte Stirn ab, strich die Haarsträhne zurück, erhob sich und ging blindlings, wie von Sinnen, ohne einen Blick in die erhellte Ecke, mit versteinertem Herzen zur Tür. Die öffnete sich wie von selbst, und im Rahmen der Portiere erschien Nikolka. Er sah Jelena verstört an, die Luft war ihm knapp.
    »Weißt du, Jelena … fürchte dich nicht … du brauchst keine Angst zu haben, geh hinein, ich glaube …«

    Doktor Alexej Turbin, gelb wie eine von schweißigen Händen zerdrückte Wachskerze, hatte die knochigen Hände mit den langen Fingernägeln unter der Decke hervorgenommen und lag so, das spitze Kinn nach oben gerichtet. Sein Körper bedeckte sich mit klebrigem Schweiß, der magere glitschige Brustkorb hob und senkte sich unter dem Hemdschlitz. Er drückte das Kinn gegen die Brust, zeigte die gelb gewordenen Zähne und öffnete die Augen. In ihnen wogte noch der zerrissene Vorhang aus Nebel und Bewußtlosigkeit, doch durch die schwarzen Fetzen drang schon Licht. Mit einer sehr schwachen, heiseren und hohen Stimme sagte er:
    »Das ist die Krise, Brodowitsch. Komme ich durch? Aha.«
    Karausche hielt mit zitternden Händen die Lampe, die das eingedrückte Bett und die zerknüllten Laken mit den grauen Faltenschatten beleuchtete.
    Der glattrasierte Arzt kniff mit nicht ganz sicherer Hand die Reste des Fleisches zusammen und jagte die Nadel einer kleinen Spritze in Turbins Arm. Schweißtropfen traten dem Arzt auf die Stirn. Er war aufgeregt und fassungslos.

19
    Peturra. Seine Vita hielt sich schon siebenundvierzig Tage in der STADT. Über die Turbins war der vereiste und verschneite Januar 1919 hinweggegangen, der Februar war angebrochen und brachte wirbelnde Schneestürme.
    Am zweiten Februar ging eine dunkel gekleidete Gestalt mit rasiertem Kopf, den ein schwarzes Seidenkäppchen bedeckte, durch die Turbinsche Wohnung. Es war der auferstandene Alexej Turbin. Er hatte sich sehr verändert. Um die Mundwinkel waren zwei Falten wohl für immer eingekerbt, die Haut sah wächsern aus, die Augen lagen in tiefen Schatten, ihr Ausdruck war für immer finster und freudlos geworden.
    Im Wohnzimmer drückte sich Turbin wie vor siebenundvierzig Tagen an die Scheibe und lauschte wie damals, als in den Fenstern warme Lichter brannten, draußen Schnee lag, alles wie eine Opernszene wirkte und entfernte Kanonenschüsse herbeidrangen. Sein Gesicht legte sich in ernste Falten, er stützte sein ganzes Körpergewicht auf den Krückstock und blickte auf die Straße. Er sah, daß die Tage wie durch Zauber schon länger und heller wurden, obwohl vor den Scheiben Millionen Flocken stöberten.
    Strenge, klare und freudlose Gedanken regten sich unter dem Seidenkäppchen. Der Kopf erschien leicht und leer wie eine fremde Schachtel auf den Schultern, und die Gedanken huschten wie außerhalb des Kopfes und in eigenwilliger Folge. Turbin war froh über seine Einsamkeit am Fenster, er schaute …
    Peturra … Spätestens heute nacht wird es sich ereignen, und Peturra wird nicht mehr dasein. War er überhaupt da? Oder habe ich das alles nur geträumt? Wer weiß, man kann es nicht überprüfen. Lariossik ist sehr sympathisch. Er ist der Familie nicht hinderlich, nein, eher nützlich. Ich muß ihm für seine Sorge danken. Und Scherwinski? Weiß der Teufel. Eine Plage ist das mit den Weibern. Jelena wird bestimmt mit ihm anbändeln, ganz bestimmt. Was hat er schon Besonderes? Höchstens die Stimme. Er hat eine wunderbare Stimme, aber die kann sie doch auch so anhören, ohne in den Ehestand zu treten, nicht wahr? Im übrigen ist alles unwichtig. Was aber ist wichtig? Ja, Scherwinski hat erzählt, sie tragen rote Sterne auf den Papachas.

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