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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Salmiakgeistes einen unerträglichen würgenden Geruch verbreiteten. Überall ragten steife oder schlaff gewordene Beine mit den Füßen nach vorn. Frauenköpfe lagen mit zottigen Haaren, die Brüste der Frauen waren zerquetscht, voller Wunden und blauer Flecke.
    »So, ich drehe sie um, und Sie geben Obacht«, sagte der Wächter, bückte sich und faßte eine Frauenleiche am Bein; da sie glitschig war, rutschte sie wie geschmiert herunter und schlug dumpf auf den Fußboden. Nikolka kam sie hübsch wie eine Hexe vor. Ihre offenen Augen starrten Fjodor an. Mühsam riß Nikolka den Blick von der Schramme los, die ihren Leib wie ein rotes Band umgürtete, und sah beiseite. Ihm war übel und schwindlig bei dem Gedanken, daß sie diese ganze kompakte Masse zusammengeklebter Leiber würden umwühlen müssen.
    »Halt, nicht mehr nötig«, sagte er zu Fjodor und schob das Fläschchen in die Tasche. »Dort ist er. Ich habe ihn gefunden. Da oben liegt er. Dort, dort.«
    Balancierend, um nicht auszurutschen, ging Fjodor hin, faßte Nai-Turs am Kopf und zog kräftig. Auf Nais Bauch lag mit dem Gesicht nach unten eine breithüftige Frau, in ihrem Haar am Nacken blinkte wie ein Stück Glas ein vergessener billiger Kamm. Fjodor nahm ihn beiläufig heraus, steckte ihn in die Schürzentasche, faßte Nai-Turs unter den Armen und zog ihn aus dem Stapel; Nais Kopf hing hintüber, das spitze, stopplige Kinn ragte nach oben, ein Arm fiel herab.
    Fjodor ließ Nai nicht fallen, wie die Frau, sondern drehte den schlaffen Körper behutsam so um, daß die Beine über den Fußboden rutschten und Nikolka das Gesicht sehen konnte.
    »Schauen Sie ihn genau an, ob er’s ist«, sagte er. »Damit kein Irrtum passiert.«
    Nikolka sah Nai direkt in die offenen glasigen Augen, die ausdruckslos zurückblickten. Die linke Wange war grünlich verfärbt, über Brust und Bauch breiteten sich dunkle Flecken, sicherlich von Blut.
    »Er ist es«, sagte Nikolka.
    Fjodor zog Nai an den Schultern in den Fahrstuhl und legte ihn Nikolka zu Füßen. Die Arme des Toten waren ausgebreitet, das Kinn ragte wieder nach oben. Fjodor legte den Hebel um, und der Fahrstuhl fuhr aufwärts.

    In derselben Nacht wurde die Kapelle nach Nikolkas Wünschen hergerichtet. Sein Gewissen war ruhig, aber er sah traurig und ernst aus. Die zur Anatomie gehörende Kapelle, sonst kahl und düster, war heller geworden. Der Sarg eines Unbekannten in der Ecke wurde zugedeckt, die unangenehme und furchterregende fremde Leiche störte nicht mehr Nais Ruhe. Nai sah im Sarg freundlicher aus.
    Nai, von zufriedengestellten geschwätzigen Wächtern gewaschen, lag sauber in einer Uniformjacke ohne Schulterklappen, mit einem Kranz auf der Stirn unter drei Lichtern, und was das wichtigste war – er trug das arschinlange bunte Georgsband, das Nikolka ihm eigenhändig unter das Hemd auf die kalte steife Brust gelegt hatte. Die alte Mutter drehte den zittrigen Kopf von den drei Lichtern Nikolka zu und sagte:
    »Mein Sohn, ich danke dir.«
    Davon mußte Nikolka wieder weinen. Er trat aus der Kapelle ins Freie. Über dem Hof war Nacht, war Schnee, waren kreuzförmige Gestirne und die weiße Milchstraße.

18
    Am zweiundzwanzigsten Dezember lag Alexej Turbin im Sterben. Der Tag war trüb, weiß und ganz durchdrungen vom Widerschein des bevorstehenden Weihnachtsfestes. Dieser Widerschein glänzte besonders auf dem Wohnzimmerparkett, das Anjuta, Nikolka und Lariossik, lautlos darüberrutschend, gestern mit vereinten Kräften gebohnert hatten. Weihnachtlich glänzte auch das von Anjuta blankgeputzte Metallgeflecht der Ewigen Lämpchen vor den Ikonen. Überall roch es nach Tannengrün, dessen Zweige die Ecke erhellten, wo der bunte Valentin über der geöffneten Tastatur für immer vergessen zu sein schien:
    Sie bleibt hier ohne Schützer …
    Jelena kam gegen Mittag aus Alexejs Zimmer und ging mit unsicheren Schritten schweigend durch das Eßzimmer, wo ganz still Karausche, Myschlajewski und Lariossik saßen. Keiner von ihnen wagte, sich zu rühren, während sie vorüberging, denn sie fürchteten sich vor ihrem Gesicht. Jelena schloß hinter sich die Tür ihres Zimmers, und die schwere Portiere legte sich sogleich unbeweglich davor.
    Myschlajewski brach das Schweigen.
    »Der Kommandeur hat alles gut gemacht«, flüsterte er heiser, »nur Aljoscha hat er schlecht plaziert.«
    Karausche und Lariossik sagten nichts. Lariossik plinkerte mit den Augen, lila Schatten legten sich auf seine Wangen.
    »Ach Teufel«,

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