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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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erwischt.
    »Da tust du ein gutes Werk. Hat er eine Mutter hinterlassen?«
    »Ja, und eine Schwester. Weißt du, Aljoscha … Überhaupt …«
    Turbin sah Nikolka von der Seite an und fragte nicht weiter.
    Den halben Weg legten die Brüder schweigend zurück. Dann sagte Alexej:
    »Peturra hat uns anscheinend alle beide in die Malo-Prowalnaja-Straße verschlagen. Na, es soll wohl so sein. Wer weiß, was daraus wird.«
    Nikolka hörte diese geheimnisvollen Worte mit großem Interesse und fragte seinerseits:
    »Hast du auch jemanden in der Malo-Prowalnaja besucht, Aljoscha?«
    »Hm«, antwortete Turbin, schlug den Mantelkragen hoch, versteckte sich dahinter und sagte bis zu Hause kein Wort mehr.

    An diesem wichtigen historischen Tag waren bei den Turbins alle zum Mittagessen versammelt: Myschlajewski, Karausche und Scherwinski. Es war die erste gemeinsame Mahlzeit seit Turbins Verwundung. Alles war wie damals, nur fehlten die dunkelrot glühenden Rosen auf dem Tisch, denn die Süßwarenhandlung »Marquise« existierte schon lange nicht mehr. Der Laden war demoliert worden und die Besitzerin verschwunden; anscheinend in derselben Richtung wie Madame Anjou. Auch fehlten die Schulterklappen bei allen am Tisch, sie hatten sich im Schneesturm vor dem Fenster aufgelöst.
    Alle hörten Scherwinski mit offenem Mund zu, sogar Anjuta kam aus der Küche und lehnte sich an den Türrahmen.
    »Was denn für Sterne?« fragte Myschlajewski finster.
    »Kleine, wie Kokarden, fünfzackig«, erzählte Scherwinski. »Auf den Papachas. Sie ziehen heran wie eine Wolke, heißt es. Kurz, um Mitternacht werden sie hier sein.«
    »Woher diese Genauigkeit?«
    Scherwinski konnte nicht antworten, denn es klingelte, und Wassilissa erschien in der Wohnung.
    Wassilissa verbeugte sich nach rechts und links, drückte allen freundlich die Hand, besonders Karausche, und ging mit knarrenden Schuhen zum Klavier. Jelena reichte ihm mit sonnigem Lächeln die Hand, die Wassilissa mit einem komischen Bückling küßte. Teufel noch mal, seit er sein Geld los ist, ist er direkt sympathisch geworden, dachte Nikolka und philosophierte: Vielleicht hindert das Geld die Menschen, sympathisch zu sein. Hier zum Beispiel hat niemand Geld, und alle sind sympathisch.
    Wassilissa wollte keinen Tee. Nein, er bedankte sich höflichst. Schön, sehr schön. »Wie gemütlich es bei Ihnen ist, trotz der schlimmen Zeiten. Ach ja … Nein, herzlichen Dank. Die Schwester meiner Frau Wanda ist vom Dorf zu Besuch gekommen, und ich muß gleich wieder runter. Ich bin nur gekommen, um Jelena Wassiljewna einen Brief zu bringen. Eben habe ich den Briefkasten aufgemacht, und da – hier ist er. Ich hielt es für meine Pflicht. Empfehle mich.« Wassilissa verabschiedete sich mit komischen Sprüngen.
    Jelena ging mit dem Brief ins Schlafzimmer.
    Ein Brief aus dem Ausland? Ist’s möglich? Es gibt solche Briefe, die man nur zu berühren braucht, um zu wissen, was sie enthalten. Wie mag der überhaupt angekommen sein? Briefe werden ja gar nicht befördert. Sogar von Shitomir schickt man Briefe mit einer Gelegenheit in die STADT. Wie dumm und unsinnig ist alles in diesem Land. Die Gelegenheit fährt ja auch mit der Bahn. Warum werden keine Briefe befördert und gehen verloren? Dieser ist angekommen. Keine Sorge, solch ein Brief findet immer seinen Adressaten. War … Warschau. Das ist nicht Talbergs Handschrift. Wie unangenehm das Herz klopft!
    Obwohl die Lampe einen Schirm hatte, wurde es in Jelenas Zimmer so ungemütlich, als hätte jemand die bunte Seide abgerissen und das grelle Licht erzeugte ein Chaos wie damals beim Packen. Jelenas Gesicht veränderte sich, glich dem alten Gesicht ihrer Mutter, die sie aus dem Schnitzrahmen ansah. Die Lippen legten sich in verächtliche Falten. Sie zuckte mit dem Mund. Das dem Umschlag entnommene grobe graue Papierblatt lag im Lampenlicht.

    »Ich habe eben erfahren, daß Du von Deinem Mann geschieden bist. Die Ostroumows haben Talberg in der Botschaft gesehen, er fährt zusammen mit Familie Herz nach Paris, es heißt, er werde Lidotschka Herz heiraten. Wie eigenartig sich alles in diesem Durcheinander gestaltet. Ich bedaure sehr, daß Du nicht weggefahren bist. Ihr tut mir alle leid, die Ihr in den Fängen der Bauern geblieben seid. Bei uns steht in den Zeitungen, daß Petljura die STADT angreift. Wir hoffen, daß die Deutschen ihn nicht reinlassen …«

    In Jelenas Kopf hüpfte und hämmerte mechanisch Nikolkas Marsch, der durch die Wände und die mit

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