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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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fügte Myschlajewski noch hinzu, erhob sich, ging wankend zur Tür, blieb dann unschlüssig stehen, drehte sich um und wies zwinkernd auf Jelenas Tür. »Hört zu, Jungs, paßt hier auf, sonst …«
    Er trat noch eine Weile von einem Fuß auf den anderen und ging dann ins Bücherzimmer, wo seine Schritte verhallten. Nach einer Weile hörte man seine und noch eine jammernde Stimme aus Nikolkas Zimmer.
    »Nikolka weint«, flüsterte Lariossik verzweifelt, seufzte, trat auf Zehenspitzen zu Jelenas Tür, bückte sich zum Schlüsselloch, konnte aber nichts erspähen. Hilflos drehte er sich zu Karausche um, machte ihm Zeichen, fragte wortlos. Da ging Karausche an die Tür, blieb auch eine Weile unschlüssig stehen, klopfte dann aber doch einige Male leise mit dem Fingernagel und sagte halblaut:
    »Jelena Wassiljewna, Jelena Wassiljewna …«
    »Ach, sorgt euch nicht um mich«, kam dumpf ihre Stimme durch die Tür, »kommt nicht herein.«
    Karausche und Lariossik wichen zurück, kehrten auf ihre Stühle am Ofen zurück und blieben wieder still sitzen.
    In Alexejs Zimmer hatten die Turbins und alle, die ihnen eng und innig verbunden waren, nichts zu tun. Dort war es ohnehin zu eng für die drei Männer. Dies waren: der goldäugige Bär, ein junger Schlanker, Glattrasierter, der mehr wie ein Gardeoffizier als wie ein Arzt aussah, und der grauhaarige Professor. Seine Kunst hatte gleich schon am sechzehnten Dezember eine für ihn und die Familie Turbin traurige Erkenntnis gebracht: Alexej hatte Typhus. Sogleich war die Schußwunde unter dem linken Arm in den Hintergrund gerückt. Vor einer Stunde war der Arzt mit Jelena ins Wohnzimmer gegangen und hatte dort auf ihre hartnäckige Frage, eine Frage, die nicht nur ihre Worte, sondern auch ihre trockenen Augen, die aufgesprungenen Lippen und die herunterhängenden Haarsträhnen stellten, geantwortet, daß wenig Hoffnung sei, und mit einem vielerfahrenen und deshalb alle Menschen bemitleidenden Blick hinzugefügt »sehr wenig«. Allen, auch Jelena, war klargeworden, daß dies gar keine Hoffnung bedeutete und daß Alexej im Sterben lag. Danach ging Jelena ins Schlafzimmer zum Bruder, sah ihm lange ins Gesicht und begriff selbst, was das bedeutete – keine Hoffnung.
    Auch für einen, der nicht die Kunst des grauhaarigen, gutmütigen alten Herrn besaß, war klar, daß Doktor Alexej Turbin sterben würde.
    Er fieberte noch, aber dieses Fieber war schon unsicher, nicht mehr beständig, drohte jeden Moment abzusinken. Sein Gesicht nahm merkwürdige wächserne Schatten an, die Nase wurde spitz, und ein Zug von Hoffnungslosigkeit zeigte sich an der Stelle, wo der kleine, jetzt besonders deutlich hervortretende Höcker saß. Ein kalter Schauer stieg in Jelena hoch, wehmütige Trauer erfaßte sie in der nach Eiter und Kampfer riechenden Luft des Schlafzimmers. Aber das verging bald.
    Alexejs Brust war wie mit einem Stein beschwert, pfeifend sog er klebrige, nur mühsam in die Lunge dringende Luft durch die gebleckten Zähne. Schon lange lag er ohne Bewußtsein, sah und begriff nicht, was um ihn geschah. Jelena stand und sah ihn an. Der Professor berührte sie an der Hand und flüsterte:
    »Gehen Sie, Jelena Wassiljewna, wir tun schon alles, was nötig ist.«
    Jelena gehorchte und ging hinaus. Aber der Professor tat nichts mehr.
    Er zog den Kittel aus, rieb sich mit feuchten Wattebäuschen die Hände ab und sah noch einmal Turbin ins Gesicht. Der bläuliche Schatten in den Falten um Mund und Nase verdichtete sich.
    »Hoffnungslos«, raunte der Professor dem Glattrasierten ins Ohr. »Bleiben Sie bei ihm, Doktor Brodowitsch.«
    »Kampfer?« fragte Brodowitsch leise.
    »Ja, ja, ja.«
    »Eine Ampulle?«
    »Nein.« Der Professor sah durchs Fenster und überlegte. »Drei Gramm auf einmal. Und öfter.« Wieder überlegte er und fügte hinzu: »Rufen Sie mich im Fall eines traurigen Ausgangs gleich in der Klinik an.« Diese Worte flüsterte der Professor sehr vorsichtig, damit Turbin sie nicht durch den Schleier der Bewußtlosigkeit vernahm. »Andernfalls komme ich gleich nach der Vorlesung wieder her.«

    Jedes Jahr, soweit die Familie Turbin zurückdenken konnte, wurden bei ihnen die Ewigen Lämpchen vor den Ikonen in der Nachmittagsdämmerung des vierundzwanzigsten Dezember angezündet, und abends brannten im Wohnzimmer flackernde warme Lichter auf grünen Tannenzweigen. Die heimtückische Schußwunde aber und der röchelnde Typhus hatten diesmal alles durcheinandergebracht, hatten das Leben und

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