Die weiße Garde
Kanonen auf den zerknitterten Schulterstücken waren ein Nichts neben den blassen Kavalleristenschulterstücken und den gebügelten dunkelblauen Reithosen Scherwinskis. In den frechen Augen des kleinen Scherwinski tanzten Freudenfünkchen bei der Nachricht von Talbergs Verschwinden. Der kleine Ulan fühlte sogleich, daß er wie noch nie bei Stimme war, und das rosa Wohnzimmer füllte sich mit einem mächtigen Orkan von Tönen. Er sang das Epithalamium an den Gott Hymen, und wie er sang! Ja, wahrscheinlich ist alles auf der Welt Unsinn neben einer Stimme, wie Scherwinski sie hat. Natürlich, jetzt gibt es Stäbe, diesen blödsinnigen Krieg, die Bolschewiken, Petljura und die Pflicht, aber später, wenn alles wieder normal ist, wird er den Militärdienst quittieren, trotz seiner Petersburger Beziehungen – Sie wissen doch, was er für Beziehungen hat, o lala! –, und dann auf die Bühne. In der Scala, im Moskauer Bolschoi wird er singen, wenn die Bolschewiken in Moskau an den Laternenmasten des Theaterplatzes aufgehängt sind. In Shmerinka hat sich die Gräfin Lendrikowa in ihn verliebt, weil er beim Epithalamium »a« statt »f« sang und fünf Takte lang aushielt. Als Scherwinski »fünf« sagte, senkte er den Kopf etwas und sah sich verlegen um, als habe nicht er, sondern ein anderer davon erzählt.
»Tja, fünf Takte. Schon gut, gehen wir Abendbrot essen.«
Und nun die Fahnen, der Rauch … »Wo bleiben die Senegaltruppen? Antworte, du vom Stab. Jelena, trink Wein, Goldstück, trink. Alles wird wieder gut. Es ist sogar besser, daß er weggefahren ist. Er schlägt sich zum Don durch und kommt mit der Denikin-Armee hierher.«
»Jawohl!« donnerte Scherwinski. »Sie kommen. Erlauben Sie mir, eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen: Heute habe ich am Krestschatik die serbischen Quartiermacher gesehen, übermorgen, spätestens in zwei Tagen, kommen zwei serbische Regimenter in die STADT.«
»Hör mal, stimmt das?«
Scherwinski wurde dunkelrot im Gesicht. »Hm, merkwürdig. Wenn ich sage, daß ich sie gesehen habe, scheint mir diese Frage überflüssig zu sein.«
»Zwei Regimenter … was sind schon zwei Regimenter?« »Nun gut, dann hört bitte weiter. Der Fürst hat mir heute erzählt, im Odessaer Hafen werden Transporte ausgeladen: Griechen und zwei Divisionen Senegalesen sind angekommen. Wir brauchen uns nur eine Woche zu halten, dann pfeifen wir auf die Deutschen.«
»Diese Verräter!«
»Na, wenn das stimmt, dann brauchen wir nur noch Petljura zu fangen und aufzuhängen! Ja, aufzuhängen!«
»Den würde ich eigenhändig erschießen.«
»Noch einen Schluck? Ihr Wohl, meine Herren Offiziere!«
Schwupp – und völliger Nebel. Nebel, meine Herren. Nikolka, der drei Glas Wein getrunken hatte, ging in sein Zimmer, um ein Taschentuch zu holen. In der Diele (wenn niemand es sieht, darf man seinen Gefühlen freien Lauf lassen) drückte er sein Gesicht an den Kleiderständer. Scherwinskis Krummsäbel mit dem goldglänzenden Griff. Geschenk eines persischen Prinzen. Klinge aus Damaszener Stahl. Es war kein Prinzengeschenk und auch kein Damaszener Stahl, aber dennoch schön und teuer. Eine finstere Mauserpistole am Riemen im Futteral und Karausches »Steyr« mit brüniertem Lauf. Nikolka drückte das Gesicht an das kalte Holz des Pistolenfutterals, befühlte die Raubtiernase der Mauser und weinte fast vor Erregung. Kämpfen wollte er, jetzt, sofort, dort auf den verschneiten Feldern hinter Post-Wolynski. Man muß sich doch schämen! Es ist peinlich … Hier ist Wodka, es ist warm, und dort Dunkelheit, Schneegestöber, die Junker frieren sich zu Tode. Was denkt man sich in den Stäben? Ach, das Freiwilligenbataillon nicht fertig, die Studenten nicht ausgebildet, die Senegalesen noch immer nicht da, wahrscheinlich sehen sie schwarz wie Stiefel aus. Erfrieren werden sie hier, vor die Hunde gehen! Die sind doch an heißes Klima gewöhnt!
»Ich würde euren Hetmann als ersten aufhängen!« schrie der ältere Turbin. »Weil er diese kleine Ukraine gegründet hat! Es lebe die freie Ukraine von Kiew bis Berlin! Ein halbes Jahr hat er die russischen Offiziere und uns alle zum Narren gehalten. Wer hat die Aufstellung der russischen Armee verboten? Der Hetman. Wer hat die russische Bevölkerung terrorisiert mit dieser scheußlichen Sprache, die es gar nicht gibt? Der Hetman. Wer hat das ganze Pack mit den Schwänzen auf dem Kopf herangezüchtet? Der Hetman. Jetzt, wo das Wasser schon bis zum Hals steht, stellt man da die
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