Die weiße Garde
einige Fehler gemacht, aber sein Plan war richtig. Oh, er ist Diplomat. Das ukrainische Land. Hier gibt es Elemente, die in ihrer Sprache reden wollen. Sollen sie doch!«
»Fünf Prozent, aber fünfundneunzig Russen!« »Richtig. Aber sie hätten die Rolle des ewigen Störenfrieds gespielt, sagt der Fürst. Also mußte man sie befrieden. Später hätte der Hetman es genauso gemacht, wie du gesagt hast: Eine russische Armee und nichts weiter. Was sagt ihr dazu?« Scherwinski zeigte feierlich irgendwohin. »In der Wladimirstraße wehen schon dreifarbige Fahnen.«
»Zu spät!«
»Hm … ja. Das stimmt. Etwas zu spät, aber der Fürst ist überzeugt, daß der Fehler korrigierbar sei.«
»Gott geb’s, ich wünsche es von ganzem Herzen.« Turbin bekreuzigte sich zur Ikone der Mutter Gottes in der Ecke hin.
»Sein Plan sah so aus«, sagte Scherwinski laut und feierlich. »Wenn der Krieg beendet wäre, hätten die Deutschen sich etwas gefaßt und uns im Kampf gegen die Bolschewiken geholfen. Hätten wir dann Moskau eingenommen, so hätte der Hetman feierlich die Ukraine seiner Majestät, dem Imperator Nikolaus Alexandrowitsch, zu Füßen gelegt.«
Nach dieser Mitteilung trat im Eßzimmer Totenstille ein. Nikolka erblaßte vor Kummer.
»Der Imperator ist tot«, flüsterte er.
»Was für ein Nikolaus Alexandrowitsch?« fragte Turbin verdutzt, und Myschlajewski äugte wankend seinem Nachbarn ins Glas. Es war klar: Lange hatte er Haltung bewahrt, doch jetzt war er blau wie ein Veilchen.
Jelena, die den Kopf in die Hände gestützt hielt, sah den Ulanen entsetzt an.
Scherwinski war nicht sehr betrunken, er hob die Hand und sagte mit mächtiger Stimme:
»Wartet, hört lieber zu. Aber ich bitte die Herren Offiziere« (Nikolka wurde rot und blaß), »einstweilen darüber zu schweigen, was ich Ihnen jetzt mitteilen werde. Wissen Sie, was sich im Schloß von Kaiser Wilhelm ereignet hat, als ihm das Hetmansgefolge vorgestellt wurde?«
»Keine Ahnung«, sagte Karausche sichtlich interessiert.
»Ich weiß es aber.«
»Nanu! Alles weiß er«, wunderte sich Myschlajewski. »Du warst doch gar nicht …«
»Meine Herren! Lassen Sie ihn aussprechen.«
»Nachdem Kaiser Wilhelm sich mit dem Gefolge gnädigst unterhalten hatte, sagte er: ›Ich verabschiede mich, meine Herren, über das Weitere spricht mit Ihnen …‹ Der Vorhang schob sich auseinander, und in den Saal trat unser Zar. Er sagte: ›Fahren Sie, meine Herren, in die Ukraine und formieren Sie Ihre Truppen. Im richtigen Augenblick stelle ich mich persönlich an die Spitze der Armee und führe sie nach Moskau, ins Herz Rußlands.‹ Und Tränen traten ihm in die Augen.«
Scherwinski sah mit hellem Blick die Gesellschaft an, trank in einem Zug sein Weinglas leer und kniff die Augen zu. Zehn Augen starrten ihn an, und Schweigen herrschte, bis er sich hingesetzt und ein Stück Schinken nachgegessen hatte.
»Hör mal, das ist doch eine Legende«, sagte Turbin und verzog schmerzlich das Gesicht. »Ich habe diese Geschichte schon mal gehört.«
»Sie sind alle erschossen worden«, sagte Myschlajewski. »Der Zar, die Zarin und der Thronfolger.«
Scherwinski schielte zum Ofen, holte Luft und sagte:
»Ihr mißtraut unbegründet. Die Nachricht über den Tod Seiner Kaiserlichen Majestät …«
»Ist etwas übertrieben«, witzelte Myschlajewski im Rausch. Jelena zuckte entrüstet zusammen und trat aus dem Nebel. »Vitja, schäm dich. Du bist Offizier.«
Myschlajewski verschwand im Nebel.
»… haben die Bolschewiken selbst erfunden. Es ist dem Zaren gelungen, sich zu retten, mit Hilfe seines treuen Erziehers … das heißt, Verzeihung, des Erziehers des Thronfolgers, Monsieur Gilliard, und einige Offiziere haben ihn, äh … nach Asien gebracht. Von dort sind sie nach Singapur gefahren und dann übers Meer nach Europa. Und nun ist unser Zar Gast von Kaiser Wilhelm.«
»Aber Wilhelm ist doch auch rausgeworfen«, sagte Karausche.
»Sie sind beide Gäste in Dänemark, und mit ihnen die Zarenmutter Maria Fjodorowna. Wenn ihr mir nicht glaubt, mir hat’s der Fürst persönlich erzählt.«
Nikolkas Seele stöhnte vor Verwirrung. Er wollte glauben.
»Wenn es so ist«, begann er plötzlich begeistert und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »dann schlage ich einen Trinkspruch auf das Wohl Seiner Kaiserlichen Majestät vor!« Sein Glas funkelte, die goldenen Pfeile des geschliffenen Kristalls durchbohrten den deutschen Weißwein. Sporen klirrten gegen die Stühle.
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