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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Laternenpfahl umfassend, drehte er sich wirklich wie eine Schraube um ihn herum und wurde dabei lang und dürr wie eine Natter. Huren mit grünen, roten, schwarzen und weißen Hütchen gingen vorbei, schön wie Puppen, und warfen der Schraube heiter zu:
    »Bist wohl voll, du Arsch?«
    In weiter Entfernung schossen die Kanonen, und Schpoljanski sah im schneestöbernden Laternenlicht wirklich wie Onegin aus.
    »Geh schlafen«, sagte er zu dem schraubenähnlichen Syphilitiker, wobei er das Gesicht etwas zur Seite wandte, damit dieser ihn nicht anhuste, »geh.« Er stieß den Ziegenmantel mit den Fingerspitzen gegen die Brust. Die schwarzen Glacéhandschuhe berührten den abgeschabten Cheviot, die Augen des Angestoßenen blickten glasig. Man trennte sich. Schpoljanski rief eine Droschke, nannte die Malo-Prowalnaja-Straße und fuhr davon, der Ziegenpelz wankte nach Hause, nach Podol.

    In der Bibliothekarswohnung in Podol stand nachts vor dem Spiegel, eine brennende Kerze in der Hand, der bis zum Gurt entblößte Besitzer des Ziegenpelzes. Teuflische Angst flackerte in seinen Augen, die Hände zitterten, der Syphilitiker sprach, und seine Lippen bebten wie bei einem Kind:
    »O Gott, o Gott, o Gott! Schrecklich, schrecklich, schrecklich! Ach, dieser Abend! Ich bin so unglücklich. Mit mir war doch auch Schejer dort, und er hat sich nicht angesteckt, weil er ein Glückspilz ist. Soll ich vielleicht hingehen und diese Ljolka umbringen? Doch was hätte das für einen Sinn? Wer kann mir erklären, was das für einen Sinn hätte? O Gott, o Gott … Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, und ich könnte … Fünfzehn Jahre noch oder auch weniger, und dann – verschiedene Pupillen, weiche Beine, irrsinniges, idiotisches Gerede, und dann bin ich eine faule, nasse Leiche.«
    Der magere Oberkörper spiegelte sich im verstaubten Trumeau, die Kerze tropfte in der erhobenen Hand, auf der Brust wucherte zarter, feiner Ausschlag. Tränen liefen unaufhaltsam über die Wangen des Kranken, sein Körper bebte und wankte. »Ich muß mich erschießen. Aber ich habe keine Kraft dazu, weshalb soll ich dich, mein Gott, belügen? Weshalb soll ich dich belügen, mein Spiegelbild?«
    Aus der Schublade des kleinen Damenschreibtisches holte er ein auf schlechtes graues Papier gedrucktes schmales Büchlein. Auf dem Umschlag stand mit roten Buchstaben:
    Phantomisten – Futuristen.
Gedichte von:
M. Schpoljanski
B. Fridman
W. Scharkewitsch
I. Russakow
Moskau, 1918
    Der arme Kranke öffnete das Buch auf Seite dreizehn und erblickte die bekannten Zeilen:
    I. Russakow
Gottes Höhle
    Im Himmel gähnt
rauchig die Höhle.
Darin, wie ein Tier, das seine Pfote saugt,
der große, wahre Papst,
ein zottiger Bär –
Gott.
In der Höhle,
seiner Höhle
schlagt Gott!
Dem roten Hall
der Gottesschlacht
antworte ich mit einem Fluchgebet.
    »Aach«, stöhnte der Kranke schmerzlich mit zusammengebissenen Zähnen. »Ach«, wiederholte er in unsagbarer Qual.
    Verzerrten Gesichts spie er plötzlich auf die Seite mit dem Gedicht und warf das Buch zu Boden, dann kniete er nieder, bekreuzigte sich schnell mit zitternder Hand, verbeugte sich und begann, mit kalter Stirn das staubige Parkett berührend, zu beten, wobei er dann die Augen zum trostlosen schwarzen Fenster erhob:
    »Herrgott, verzeih und vergib mir, daß ich diese gemeinen Worte geschrieben habe. Warum bist du so grausam? Warum? Ich weiß, daß du mich gestraft hast. Oh, wie hart hast du mich gestraft! Sieh meine Haut an. Ich schwöre dir bei allem, was mir heilig und teuer ist, beim Andenken an meine verstorbene Mutter, daß ich genug bestraft bin. Ich glaube an dich! Ich glaube mit ganzer Seele, mit ganzem Körper, mit jeder Faser des Gehirns. Ich glaube und wende mich nur an dich, denn ich habe auf der Welt niemanden, der mir helfen könnte. Ich habe keine andere Hoffnung als dich. Vergib mir und mach, daß mir die Arzneien helfen! Verzeih mir, daß ich zu dem Schluß kam, du existiertest nicht. Wärest du nicht, so wäre ich jetzt ein bedauernswerter räudiger Hund ohne Hoffnung. Aber ich bin ein Mensch und habe nur deshalb Kraft, weil du existierst, weil ich dich jederzeit um Hilfe bitten kann. Und ich glaube, daß du meine Bitten erhörst, mir vergibst und mich gesund machst. Mach mich gesund, o Gott, vergiß die Gemeinheit, die ich in einem Anfall von Wahnsinn, betrunken und unter Kokain geschrieben habe. Laß mich nicht verfaulen, und ich schwöre dir, daß ich wieder ein Mensch sein werde.

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