Die weiße Garde
einem Kometenschweif, der an das Rascheln trockener Blätter erinnerte, über Petschersk. Bolbotun stieg sofort vom Pferd. Pferdehalter führten die Tiere in eine Gasse, Bolbotuns Regiment zog sich etwas in Richtung Petscherskaja-Platz zurück, legte sich in Schützenkette hin und begann ein fades Duell. Die Schildkröte sperrte die Moskowskaja-Straße und dröhnte von Zeit zu Zeit.
Dem Dröhnen antwortete spärliches Knattern aus der Einmündung der Suworowskaja-Straße. Dort lagen im Schnee eine Kette, die sich vor Bolbotuns Feuer aus der Petscherskaja-Straße zurückgezogen hatte, sowie ihre Verstärkung, die so zustande gekommen war:
»Dr-r-r-r-r-r-r …«
»Erstes Bataillon?«
»Ja, hallo!«
»Schicken Sie unverzüglich zwei Offizierskompanien nach Petschersk.«
»Zu Befehl. Drrrrrrr. Ti … ti … ti …«
Nach Petschersk kamen: vierzehn Offiziere, drei Junker, ein Student, ein Kadett und ein Schauspieler vom Miniaturtheater.
Doch o weh! Die spärliche Kette konnte natürlich nichts ausrichten, trotz der Verstärkung durch die Schildkröte. Es sollten ja vier Schildkröten kommen. Und man kann mit Sicherheit sagen, wären sie gekommen, so hätte Bolbotun Petschersk verlassen müssen. Doch sie kamen nicht. Sie kamen nicht, weil in der Panzerabteilung des Hetmans, die aus vier sehr guten Kampfwagen bestand, der Kommandant des zweiten Wagens kein anderer war als der berühmte Fähnrich Michail Semjonowitsch Schpoljanski, der im Mai 1917 aus den Händen von Alexander Kerenski das Georgskreuz empfangen hatte.
Schpoljanski war dunkelhaarig und hatte einen samtenen Backenbart. Eugen Onegin sehr ähnlich. Gleich nach seinem Eintreffen aus Sankt Petersburg war er in der ganzen STADT bekannt geworden als ausgezeichneter Rezitator seiner eigenen Verse »Tropfen vom Saturn« im Klub »Dreschma«, als vorzüglicher Organisator der Dichter und als Vorsitzender des städtischen Dichterordens »Magnetisches Triolett«. Außerdem hatte Schpoljanski nicht seinesgleichen als Redner, außerdem konnte er sämtliche Autotypen fahren, militärische wie zivile, außerdem hielt er die Ballerina Mussja Ford vom Operntheater aus und noch eine Dame, deren Namen er als Gentleman niemandem verriet, außerdem hatte er sehr viel Geld und verborgte es großzügig an die Mitglieder des »Magnetischen Trioletts«;
er trank Weißwein,
er spielte chemin de fer,
er hatte sich das Bild »Badende Venezianerin« gekauft,
er wohnte nachts am Krestschatik,
morgens im Café »Bilbokee«,
tagsüber in seinem gemütlichen Zimmer im Hotel Continental, dem ersten Haus am Platze,
abends im »Dreschma«,
im Morgengrauen schrieb er an seiner wissenschaftlichen Arbeit »Das Intuitive bei Gogol«.
Die STADT des Hetmans ging drei Stunden früher zugrunde als nötig, weil Schpoljanski am Abend des zweiten Dezember 1918 im »Dreschma« zu Stepanow, Schejer, Slonych und Tscheremschin (dem Vorstand des »Magnetischen Trioletts«) folgendes gesagt hatte:
»Alle sind Schurken. Der Hetman und auch Petljura. Petljura ist obendrein Pogromstifter. Aber das ist nicht das Wichtigste. Ich langweile mich, weil ich schon lange keine Bomben geworfen habe.«
Nach dem Abendessen im »Dreschma«, das Schpoljanski bezahlte, wurde er, der einen teuren Pelz mit Biberkragen und einen Zylinder trug, vom ganzen »Magnetischen Triolett« und noch einer fünften, etwas bezechten Person in einem Ziegenfellmantel heimgeleitet. Über diesen fünften wußte Schpoljanski nur, daß er syphilitisch war, daß er gottlose Gedichte geschrieben hatte (Schpoljanski, der über weitreichende literarische Verbindungen verfügte, hatte sie in einem Moskauer Sammelband untergebracht), daß er Russakow hieß und Sohn eines Bibliothekars war.
Der Syphilitiker ließ unter einer Straßenlaterne am Krestschatik Tränen auf seinen Ziegenpelz fallen, klammerte sich an Schpoljanskis Biberaufschläge und sagte:
»Schpoljanski, du bist der Stärkste von uns allen in dieser Stadt, die genauso im Verwesen begriffen ist wie ich. Du bist so schön, daß man dir sogar die gruslige Ähnlichkeit mit Onegin verzeiht! Hör zu, Schpoljanski, es ist unanständig, Onegin zu ähneln. Du bist viel zu gesund. Du hast nicht den edlen Wurmstich, der dich wirklich zum hervorragendsten Menschen unserer Tage machen könnte. Ich verwese und bin stolz darauf. Du bist zu gesund, aber du bist stark wie eine Schraube, deshalb sollst du dich dorthin schrauben, nach oben, so …«
Und der Syphilitiker zeigte es: Den
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