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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Maschinengewehr losrattern, dem Maschinengewehre und Gewehrschüsse aus der STADT, vor Nikolka, antworteten. So ist das also. Die STADT ist eingenommen. In der STADT wird gekämpft. Die Katastrophe ist da. Nikolka, noch immer nach Atem ringend, klopfte sich mit beiden Händen den Schnee ab. Soll ich den Colt wegwerfen? Nai-Turs’ Colt? Um nichts in der Welt. Vielleicht komme ich durch. Sie können doch nicht überall auf einmal sein.
    Nikolka atmete schwer, merkte, daß seine Beine bedeutend schwächer geworden waren und den Dienst versagten, lief die ausgestorbene Rasjesshaja entlang und erreichte glücklich die Kreuzung zweier Straßen: der Lubotschizkaja nach Podol und der Lowskaja, die zum Stadtzentrum abbog. Hier erblickte er eine Blutlache neben dem Prellstein und Mist, zwei weggeworfene Gewehre und eine blaue Studentenmütze. Nikolka warf seine Papacha weg und setzte die Mütze auf. Sie war ihm zu klein und gab ihm das widerliche, draufgängerische, zivile Aussehen eines aus dem Gymnasium gefeuerten Vagabunden. Nikolka spähte vorsichtig um die Ecke in die Lowskaja und sah weit entfernt die tänzelnde Reiterei mit den blauen Flecken auf den Papachas. Dort schien ein Gefecht zu sein, Schüsse knallten. Nikolka huschte die Lubotschizkaja entlang und erblickte den ersten lebenden Menschen. Auf dem Bürgersteig gegenüber lief eine Dame mit schwarzem Hut, der ihr wie ein Flügel auf der Seite saß, und schwenkte mit einer Hand eine graue Tasche, aus der ein tollkühner Hahn sich zu befreien suchte und über die ganze Straße »Peturra, Peturra« schrie. Aus einer Tüte in der linken Hand der Dame fielen Mohrrüben auf den Bürgersteig. Die Dame schrie, weinte und rannte dauernd gegen die Wand. Wie ein Wirbelwind lief ein Kleinbürger vorbei, bekreuzigte sich nach allen Seiten und schrie:
    »O Gott, o Gott! Wolodka! Wolodka! Petljura kommt.«
    Am Ende der Lubotschizkaja waren schon mehr Menschen, sie hasteten umher, verschwanden in Toreinfahrten. Ein Mann in schwarzem Mantel stürzte, kopflos vor Angst, gegen ein Tor, steckte seinen Spazierstock in das Gitter und zerbrach ihn knackend.
    Unterdessen flog die Zeit weiter und weiter, es dämmerte schon. Als Nikolka die Lubotschizkaja verlassen hatte und den Wolski-Hang hochrannte, flammte an der Ecke zischend eine elektrische Laterne auf. In einem kleinen Laden rasselte die Jalousie herunter und verdeckte die bunten Schachteln mit der Aufschrift »Waschpulver«. Ein Kutscher hatte seinen Schlitten in einer Schneewehe umgeworfen, als er um die Ecke bog, und peitschte unbarmherzig auf den Gaul ein. An Nikolka vorbei sprang ein dreistöckiges Haus mit drei Toreinfahrten, in denen ununterbrochen Türen knallten, und ein Unbekannter mit Sealkragen rannte an Nikolka vorbei und brüllte ins Tor:
    »Pjotr! Pjotr! Bist du verrückt geworden? Mach zu! Mach das Tor zu!«
    In der Toreinfahrt knallte die Tür, und man hörte eine Frauenstimme auf der dunklen Treppe schreien:
    »Petljura kommt! Petljura!«
    Je mehr sich Nikolka dem von Nai-Turs genannten rettenden Podol näherte, je mehr Menschen durch die Straßen rannten und hasteten, um so weniger Angst verspürte er. Nicht alle rannten in Nikolkas Richtung, manche kamen ihm auch entgegen.
    Direkt am Hang zum Podol kam aus der Toreinfahrt eines steingrauen Gebäudes feierlich ein Kadett in grauem Mantel mit weißen Schulterklappen, auf denen ein goldenes »W« stand. Seine Nase glich einem Knöpfchen. Die Augen huschten flink umher, auf dem Rücken hing am Riemen ein schweres Gewehr. Die vorbeilaufenden Passanten sahen den bewaffneten Kadetten entsetzt an und rannten davon. Der Kadett blieb eine Weile auf dem Bürgersteig stehen, lauschte den Schüssen in der oberen STADT mit der gewichtigen Miene eines Kundschafters, zog Luft durch die Nase ein und wollte irgendwohin gehen. Nikolka änderte rasch seine Richtung, überquerte den Bürgersteig, trat dicht an den Kadetten heran und sagte im Flüsterton: »Werfen Sie das Gewehr weg und verstecken Sie sich augenblicklich.«
    Der kleine Kadett fuhr zusammen, wich ängstlich zurück, faßte aber dann drohend ans Gewehr. Mit einer alterprobten Methode drängte Nikolka ihn so lange zurück, bis sie in einer Toreinfahrt waren, und dort, zwischen zwei Türen, sagte er mit Nachdruck:
    »Verstecken Sie sich, sage ich Ihnen. Ich bin Junker. Alles ist zusammengebrochen. Petljura hat die Stadt eingenommen.«
    »Eingenommen?« fragte der Kadett und sperrte den Mund auf, so daß man sehen

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