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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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konnte, daß ihm links ein Zahn fehlte.
    »Ja«, antwortete Nikolka und fügte, in Richtung der oberen STADT weisend, hinzu: »Hören Sie? Dort ist Petljuras Reiterei auf den Straßen. Ich habe mich knapp retten können. Laufen Sie nach Hause, verstecken Sie das Gewehr und warnen Sie alle.«
    Der Kadett war zur Salzsäule erstarrt, und so ließ ihn Nikolka in der Toreinfahrt stehen, denn er hatte keine Zeit, sich mit solch einem Unverstand zu unterhalten.
    In Podol war die Unruhe nicht so zu spüren, aber die Hast war ziemlich groß. Die Passanten beschleunigten die Schritte, hoben oft horchend den Kopf, Köchinnen traten aus den Torwegen und wickelten sich rasch in ihr graues Tuch. Aus der oberen STADT kam ununterbrochenes Geknatter von Maschinengewehren. Aber in dieser Dämmerstunde des vierzehnten Dezember war nirgends mehr, weder nah noch fern, Kanonendonner zu hören.
    Nikolkas Weg war lang. Bis er Podol durchquert hatte, waren die frostigen Straßen vollkommen in Dämmerung gehüllt, und die großen, weichen Schneeflocken, die durch die Lichtflecke der Laternen fielen, linderten die Hast und Unruhe. Durch ihr großmaschiges Netz blinkten die Laternen; in den Läden und Geschäften brannte lustiges Licht, aber nicht in allen, einige waren schon erblindet. Der Schnee fiel immer dichter. Am Fuß seiner Straße, des steilen Alexejewski-Hangs, sah Nikolka vor dem Tor des Hauses Nummer sieben folgendes Bild: Zwei Jungen in grauem Strickjäckchen und Mützchen waren gerade mit einem Schlitten den Hang heruntergerodelt. Einer von ihnen, klein und dick wie eine Kugel, ganz mit Schnee verschmiert, saß da und lachte. Der andere, etwas älter, schlank und ernst, knotete an der Strippe herum. Im Tor stand ein Bursche im Schafpelz und popelte. Die Schießerei wurde lauter. Sie kam von oben, von den verschiedensten Stellen.
    »Waska, Waska, ich bin mit dem Hintern gegen den Prellstein gehauen!« schrie der Kleine.
    Sie rodeln friedlich, dachte Nikolka erstaunt und fragte den Burschen freundlich:
    »Sagen Sie bitte, was ist das für eine Schießerei dort oben?«
    Der Bursche nahm den Finger aus der Nase, überlegte und sagte näselnd:
    »Die Unseren schlagen das Offizierspack.«
    Nikolka sah ihn finster an und faßte mechanisch nach dem Griff des Colts in der Tasche. Der ältere Junge sagte boshaft:
    »Sie rechnen mit den Offizieren ab. Geschieht ihnen recht. In der ganzen Stadt waren ihrer nur achthundert Mann, und sie haben noch Dummheiten gemacht. Petljura ist gekommen. Er hat eine Millionenarmee.«
    Er drehte sich um und zog den Schlitten bergauf.

    Sofort wurde der cremefarbene Store am Fenster zwischen der Veranda und dem kleinen Eßzimmer zurückgezogen. Die Uhr – tick-tack …
    »Ist Alexej schon zurück?« fragte Nikolka.
    »Nein«, antwortete Jelena und brach in Tränen aus.

    Es ist dunkel. Dunkel in der ganzen Wohnung. Nur in der Küche brennt eine Lampe. Dort sitzt Anjuta, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, und weint. Natürlich um Alexej Wassiljewitsch … In Jelenas Schlafzimmer brennt Holz im Ofen. Durch die Ofentür springen tanzende Flecke heraus auf den Fußboden. Jelena, die sich um Alexej ausgeweint hat, sitzt auf dem Fußbänkchen, den Kopf in die Hand gestützt, und Nikolka hockt zu ihren Füßen, im roten Feuerschein, die Beine wie eine Schere gespreizt.
    Bolbotun … der Oberst. Bei Stscheglows hatte man mittags erzählt, daß er niemand anders als der Großfürst Michail Alexandrowitsch sei. Kurzum, es herrschte eine verzweifelte Stimmung hier, im Halbdunkel und Feuerglanz. Was hilft es, um Alexej zu weinen? Gar nichts. Er ist zweifellos gefallen. Alles klar. Die machen keine Gefangenen. Da er nicht gekommen ist, haben sie ihn geschnappt und umgebracht. Das Schlimmste, man erzählt, daß Petljura eine Elitetruppe von achthunderttausend Mann besitzt. Man hat uns betrogen, in den sicheren Tod geschickt.
    Woher kam diese schreckliche Armee? Wurde sie etwa aus dem Frostnebel in der stechenden blauen Luft gewoben? Alles nebelhaft … unklar …
    Jelena erhob sich und streckte den Arm aus.
    »Verflucht seien die Deutschen! Verflucht! Wenn der Herrgott sie nicht straft, ist er ungerecht. Darf es denn sein, daß sie sich jeder Verantwortung entziehen? Sie werden sich verantworten müssen. Sie werden sich genauso quälen müssen wie wir, jawohl!«
    Sie wiederholte hartnäckig das Jawohl wie eine Beschwörung. Auf ihrem Gesicht und Hals spielte rotes Licht, ihre leeren Augen waren von schwarzem Haß

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