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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Fassung, weil keine Zeit war, so rasch hatte Oberst Nai-Turs gehandelt. Dieser wandte sich dem zerschlagenen Zug zu und gab kreischend mit einer ungewöhnlichen, nie gehörten Schnarrstimme ein Kommando. Nikolka dachte abergläubisch, daß solche Stimme zehn Werst weit, bestimmt aber in der ganzen STADT zu hören sein müßte. »Junker! Hört auf mein Kommando: Schulterklappen, Kokarden, Patronentaschen abreißen, Gewehre wegwerfen! Durch die Fonarny-Gasse über die Höfe in die Rasjesshaja-Straße und dann nach Podol! Nach Podol! Zerreißt unterwegs die Dokumente, versteckt euch, zerstreut euch und nehmt alle mit, alle, die euch begegnen!«
    Dann, den Colt schwenkend, brüllte er wie ein Kavalleriehorn: »Durch die Fonarny-Gasse! Nur durch die Fonarny-Gasse! Rettet euch, geht nach Hause! Der Kampf ist aus! Im Laufschritt marsch, marsch!«
    Einige Sekunden stand der Trupp starr. Dann wurden die Junker kreidebleich. Iwaschin riß sich vor Nikolkas Augen die Schulterklappen ab, Patronentaschen flogen in den Schnee, ein Gewehr polterte über die vereiste Bürgersteigkante. Gleich darauf lag die Kreuzung voll Koppel und Patronentaschen, auch eine zerdrückte Mütze war zu sehen. Durch die Fonarny-Gasse, durch die Höfe flohen die Junker zur Rasjesshaja-Straße. Nai-Turs steckte den Colt schwungvoll in die Revolvertasche, sprang zum Maschinengewehr auf dem Bürgersteig, hockte sich nieder und drehte den Lauf dorthin, woher er gekommen war. Mit der linken Hand ordnete er den Patronengurt. Dabei drehte er sich zu Nikolka um und brüllte wütend:
    »Bist du taub? Lauf!«
    Eine merkwürdige, rauschähnliche Ekstase stieg in Nikolka aus dem Bauch hoch, und ihm wurde ganz trocken im Mund.
    »Ich will nicht, Herr Oberst«, antwortete er mit hölzerner Zunge, hockte sich hin, ergriff mit beiden Händen den Patronengurt und führte ihn ein.
    Dort, wo der Rest der Abteilung Nai-Turs’ hergekommen war, zeigten sich plötzlich fern Berittene. Undeutlich war zu sehen, daß die Pferde spielerisch tänzelten und die Reiter graue Säbel in den Händen hatten. Nai-Turs drückte die Griffe zusammen, das Maschinengewehr gab einige Schüsse ab, da-da-da, verstummte, gab wieder einige Schüsse ab, und dann donnerte eine lange Garbe hinaus. Die Hausdächer rechts und links brodelten auf. Zu den Berittenen gesellten sich weitere, dann schleuderte es einen von ihnen zur Seite, ins Fenster eines Hauses, ein zweites Pferd bäumte sich auf, sah schrecklich lang aus, reichte fast bis zur ersten Etage, einige Reiter verschwanden ganz. Dann zogen sich auch die übrigen zurück, waren wie vom Erdboden verschluckt.
    Nai-Turs ließ die Griffe los, drohte mit der Faust gegen den Himmel, seine Augen füllten sich mit Licht, und er schrie:
    »Jungs! Jungs! Dieses Stabsgesindel!«
    Er drehte sich zu Nikolka um und rief mit einer Stimme, die Nikolka wie der Klang einer zarten Kavallerietrompete vorkam:
    »Lauf weg, du dummer Junge! Lauf weg, sag ich dir.«
    Er überzeugte sich mit einem Blick, daß die Junker alle verschwunden waren, dann sah er nach vorn, zur Parallelstraße der Brest-Litowsker Chaussee, und schrie voll Haß und Erbitterung:
    »Ach, Teufel noch mal!«
    Nikolka folgte seinem Blick und sah weit, weit in der Kadettenstraße auf dem unansehnlichen schneeverschütteten Boulevard dunkle Reihen auftauchen und in Deckung gehen. Dann knallte etwas gegen das Schild an der Ecke der Fonarny-Gasse über Nai-Turs’ und Nikolkas Kopf:
    Berta Jakowlewna Prinz-Metall
Zahnärztin
    Irgendwo hinter dem Torweg zerklirrten Scheiben. Nikolka sah Putzbrocken auf den Bürgersteig fallen und zerspringen. Fragend blickte er Oberst Nai-Turs an, um zu erfahren, was von den fernen Ketten und dem Putz zu halten sei. Oberst Nai-Turs aber reagierte merkwürdig. Er hüpfte auf einem Fuß, schwang den anderen wie beim Walzer, und auf seinem Gesicht erschien ein unangebrachtes festliches Lächeln. Dann sah Nikolka ihn zu seinen Füßen liegen. Seinen Verstand verhängte dunkler Nebel, er hockte sich hin, schluchzte tränenlos, unerwartet für sich selbst, und zerrte den Oberst an den Schultern, um ihn aufzurichten. Aber aus dem linken Ärmel des Obersts lief Blut, und er verdrehte die Augen.
    »Herr Oberst, Herr Oberst …«
    »Unter … zier«, sagte Nai-Turs mühsam, Blut lief ihm aus dem Mund aufs Kinn, seine Stimme versiegte tropfenweise und wurde mit jedem Wort schwächer. »Hören Sie auf, zum Teufel, den Helden zu spielen … ich sterbe … Malo-Prowalnaja-Straße

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