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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Der Hauswart hielt schützend die Hand vor sich, wich zurück, kam von den Knien in die Hocke, fiel zurück und brüllte fürchterlich, Nikolka zum Verderben. Da Nikolka nicht wußte, was er tun sollte, um diesen lauten Rachen im kupfernen Bart zu stopfen, und verzweifelt war über den nicht schießen wollenden Colt, stürzte er sich wie ein Kampfhahn auf den Hauswart und schlug ihm – mit dem Risiko, sich selbst zu erschießen – den Griff in die Zähne. Seine Wut verflog. Der Hauswart aber sprang auf und rannte in die Toreinfahrt, durch die Nikolka gekommen war. Zu Tode erschrocken, brüllte er nicht mehr, er lief, stolperte, rutschte aus, drehte sich einmal um, und Nikolka sah, daß eine Hälfte seines Bartes blutig war. Dann verschwand er. Nikolka stürzte an dem Schuppen vorbei zu dem Tor, das auf die Rasjesshaja-Straße führte, und hier packte ihn Verzweiflung. Natürlich. Zu spät gekommen. Jetzt sitze ich in der Falle. O Gott, und er schießt nicht. Vergebens rüttelte er an dem riesigen Torriegel und am Schloß. Nichts zu machen. Der rotbärtige Hauswart hatte, als die Junker Nai-Turs’ durchgerannt waren, das Tor zur Rasjesshaja-Straße verschlossen, und vor Nikolka stand als unüberwindliches Hindernis – eine bis oben glatte, blinde Eisenwand. Er drehte sich um, sah zum Himmel, der sehr tief hing, und erblickte an der Brandmauer eine leichte schwarze Leiter, die bis aufs Dach des dreistöckigen Hauses führte. Soll ich etwa hinaufklettern? dachte er und erinnerte sich, wie blöd es auch war, an ein buntes Bild: Nat Pinkerton in gelber Jacke, eine rote Maske vorm Gesicht, klettert eine solche Leiter hoch. Äh, Nat Pinkerton, Amerika … Wenn ich hinaufklettere – was dann? Wie ein Idiot sitze ich auf dem Dach, und der Hauswart ruft unterdes die Petljura-Soldaten zusammen. Dieser Nero verrät mich … Ich habe ihm die Zähne eingeschlagen. Das verzeiht er nie.
    Und so war es. Aus dem Tor zur Fonarny-Gasse hörte Nikolka die verzweifelten Schreie des Hauswartes: »Hierher! Hierher!« und Hufschläge. Er begriff: Petljuras Reiterei ist von der Flanke in die STADT eingedrungen. Jetzt ist sie schon in der Fonarny-Gasse. Deshalb also hat Nai-Turs geschrien, daß man in die Fonarny-Gasse nicht zurückkehren dürfe.
    Das alles ging ihm durch den Kopf, als er sich unerklärlicherweise auf einem Holzstapel neben dem Schuppen an der Mauer des Nachbarhauses wiederfand. Die vereisten Scheite wackelten unter seinen Füßen, er balancierte, fiel hin, zerriß sich die Hose, kam an die Mauer, spähte hinüber und erblickte einen Hof, der dem ersten so sehr glich, daß Nikolka den rothaarigen Nero im Schafpelz zu sehen erwartete. Aber niemand kam. Ein schneidender Schmerz im Bauch und im Kreuz, Nikolka saß auf dem Boden, im selben Augenblick zuckte sein Colt in der Hand, und dröhnend löste sich ein Schuß. Nikolka war erstaunt, dann begriff er, daß die Sicherung zugewesen war und sich jetzt verschoben hatte. Na so was!
    Teufel, auch hier ist das Tor zur Rasjesshaja-Straße zu. Abgeschlossen. Also wieder zur Mauer. Doch o weh, hier war kein Holz. Nikolka sicherte den Revolver und schob ihn in die Tasche. Dann stieg er auf einen Haufen Ziegelschutt und kroch wie eine Fliege die steile Mauer hinauf, die Fußspitzen in Löcher steckend, in denen zu friedlichen Zeiten keine Kopeke Platz gefunden hätte. Die Fingernägel brachen ab, er riß sich die Finger blutig, klomm aber weiter. Eng an die Wand gepreßt, hörte er hinter sich, im ersten Hof, einen schrillen Pfiff und Neros Stimme, und vor ihm im dritten Hof sah ein angstverzerrtes Frauengesicht aus einem schwarzen Fenster der ersten Etage ihn an und verschwand sofort. Von der zweiten Mauer fiel er ziemlich günstig in einen Schneehaufen, dennoch knackte es im Hals und im Kopf. Mit Kopfsausen und schwarzen Flecken vor den Augen lief Nikolka zum Tor.
    Welche Freude! Es war zwar auch verschlossen, war aber ein schmiedeeisernes Gitter und kinderleicht zu übersteigen. Wie ein Feuerwehrmann kletterte Nikolka hinauf, dann hinunter und befand sich in der Rasjesshaja-Straße. Die Straße war menschenleer. Eine viertel Minute muß ich verschnaufen, sonst platzt mir das Herz, dachte Nikolka und schluckte glühende Luft. Ja, die Papiere … Nikolka holte aus der Tasche seiner Bluse einen Packen schmieriger Bescheinigungen und zerriß sie. Wie Schnee flatterten sie auseinander. Hinten in der Gasse, wo er Nai-Turs verlassen hatte, hörte er ein

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