Die weiße Garde
Krankenhaus unmögl…«
»Sprechen Sie nicht, Kollege«, sagte der Arzt. »Wir werden auch ohne Sie alles erledigen. Natürlich, ich verstehe. In der Stadt ist jetzt ein tolles Durcheinander.« Er nickte zum Fenster. »Er hat wohl recht, es geht nicht. Also zu Hause … Heute abend komme ich wieder.«
»Ist es sehr schlimm, Herr Doktor?« fragte Jelena erregt.
Der Arzt heftete den Blick aufs glänzende gelbe Parkett, als ob dort die Diagnose stünde, krächzte, zwirbelte seinen Bart und sagte:
»Der Knochen ist heil. Hm … Die großen Blutgefäße sind unverletzt, der Nerv auch. Aber eine Vereiterung wird es geben. In der Wunde waren Fetzen vom Wollmantel. Das Fieber …« Nachdem er diese wenig verständlichen Gedanken herausgepreßt hatte, hob er die Stimme und sagte zuversichtlich: »Vollkommene Ruhe. Morphium – wenn er sich quält, ich werde es ihm abends selbst spritzen. Zu essen nur Flüssiges – Bouillon … Viel sprechen darf er nicht.«
»Herr Doktor, Herr Doktor, ich bitte Sie inständig … Er bat, niemandem etwas zu sagen.«
Der Arzt warf einen schrägen, düsteren und tiefen Blick auf Jelena und brummte:
»Ja, ich verstehe … Wie konnte das nur passieren?«
Jelena seufzte zurückhaltend und breitete ratlos die Arme aus. »Schon gut«, brummte der Arzt und schob sich wie ein Bär in die Diele.
Dritter Teil
12
In Turbins kleinem Schlafzimmer wurden die zwei Fenster zur Glasveranda mit den dunklen Gardinen verhängt. Das Zimmer lag in Dämmerung, in der Jelenas Kopf leuchtete. Ihr gegenüber schimmerten – ein weißer Fleck auf dem Kissen – Turbins Gesicht und Hals. Die Schnur kroch wie eine Schlange von der Steckdose zum Stuhl, das Lämpchen mit dem kleinen rosa Schirm flammte auf und verwandelte den Tag in Nacht. Turbin bedeutete Jelena mit einem Zeichen, die Tür zu schließen. »Sag sofort Anjuta, sie soll nichts erzählen.«
»Ich weiß, ich weiß, sprich nicht soviel, Aljoscha.«
»Ich weiß es selbst. Nur leise. Ach, wenn ich nur nicht den Arm verliere!«
»Um Gottes willen, Aljoscha … Bleib ruhig liegen und schweig. Soll der Mantel dieser Dame vorläufig bei uns bleiben?«
»Ja, ja. Nikolka soll ja nicht auf den Gedanken kommen, ihn hinzuschleppen. Auf der Straße ist ja … Hörst du? Laß ihn um Gottes willen überhaupt nicht raus.«
»Der Herrgott möge sie schützen«, sagte Jelena aufrichtig und zärtlich. »Und da sagt man, es gäbe keine guten Menschen auf der Welt.«
Die Wangen des Verwundeten färbten sich leicht, sein Blick heftete sich auf die niedrige weiße Decke, dann blickte er Jelena an und fragte, das Gesicht verziehend:
»Ja, hör mal, was ist denn das eigentlich für eine Kaulquappe bei uns?«
Jelena beugte sich in den rosa Schein und zuckte die Achseln. »Weißt du, er kam kurz vor dir, buchstäblich zwei Minuten vorher. Er ist Talbergs Neffe aus Shitomir. Du hast von ihm gehört: Illarion Surshanski, der berühmte Lariossik.«
»Na und?«
»Na, er hat einen Brief mit. Ein Drama hat sich dort abgespielt. Gerade begann er zu erzählen, da brachten sie dich.«
»Einen Vogel hat er auch, weiß Gott …«
Mit Lachen und Entsetzen in den Augen beugte sich Jelena zu ihm vor.
»Der Vogel ist nicht so schlimm. Er bittet darum, bei uns wohnen bleiben zu dürfen. Ich weiß nicht, was wir machen sollen.«
»Wohnen?«
»Nun ja. Rede nicht und beweg dich nicht, bitte, Aljoscha. Die Mutter schreibt, fleht uns an, dieser Lariossik ist ja ihr Abgott. So einen Tölpel wie ihn habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Bei uns hat er damit angefangen, daß er das ganze Geschirr zerschlug. Das blaue Service. Nur zwei Teller sind heil geblieben.«
»Soso. Ich weiß auch nicht, was wir machen sollen.«
Im rötlichen Schatten war noch lange Geflüster zu hören. Von weitem, durch Türen und Portieren, kamen dumpf die Stimmen Nikolkas und des unerwarteten Gastes. Jelena streckte beschwörend die Hände aus und bat Alexej, weniger zu sprechen. Im Eßzimmer war Geklirr – die aufgeregte Anjuta fegte die Scherben zusammen. Endlich wurde flüsternd ein Beschluß gefaßt. In Anbetracht dessen, daß in der STADT alles mögliche passieren konnte und sehr wahrscheinlich Zimmer beschlagnahmt würden, in Anbetracht dessen, daß kein Geld da war und für Lariossik bezahlt werden würde, sollte er bleiben. Er mußte aber verpflichtet werden, die Regeln des Turbinschen Lebens zu befolgen. Was den Vogel anbetraf, so mußte man abwarten. Wenn er sich im Haus als unerträglich erwiese,
Weitere Kostenlose Bücher