Die weiße Garde
höflich und gewissenhaft, nur etwas wunderlich. Um das Service ist es jammerschade.
Das ist eine Type, dachte Nikolka. Lariossiks wunderbares Erscheinen verdrängte seine traurigen Gedanken.
»Achttausend«, sagte Lariossik und schob das Bündel, das an Rührei mit Schnittlauch erinnerte, auf dem Tisch hin und her. »Wenn es zuwenig ist, lasse ich sofort noch welches kommen.«
»Nein, nein, später, ausgezeichnet«, antwortete Jelena. »Hören Sie zu: Ich werde jetzt Anjuta bitten, daß sie Ihnen das Bad heizt, und Sie werden gleich baden. Sagen Sie nur, wie sind Sie überhaupt durchgekommen, das begreife ich nicht.« Jelena knüllte das Geld zusammen und steckte es in die große Tasche ihres Morgenrocks.
In Erinnerung an das Erlebte füllten sich Lariossiks Augen mit Entsetzen.
»Es war schrecklich!« rief er aus und faltete die Hände wie ein Katholik beim Gebet. »Ich war doch neun Tage … nein, Verzeihung, zehn? Sonntag, ja, ja, Montag … elf Tage von Shitomir unterwegs!«
»Elf Tage!« rief Nikolka. »Siehst du!« wandte er sich aus irgendeinem Grunde vorwurfsvoll an Jelena.
»Ja, ja. Elf Tage. Als ich abfuhr, gehörte der Zug dem Hetman, und unterwegs verwandelte er sich in einen Petljura-Zug. Als wir auf dem Bahnhof … wie hieß er noch? Ach Gott, ich hab’s vergessen … ist auch egal … und dort, stellen Sie sich vor, wollten sie mich erschießen. Diese Petljura-Leute mit den Schwänzen drangen ein …«
»Mit blauen?« fragte Nikolka interessiert. »Mit roten … ja, mit roten … und schrien: Komm runter, du wirst gleich erschossen! Sie dachten, ich wäre ein Offizier und hätte mich in dem Sanitätszug versteckt. Ich hatte ja nur die Empfehlung von Mama an Doktor Kurizki.«
»Kurizki?« rief Nikolka vielsagend. »Tja … Kater und Walfisch. Den kennen wir.«
»Ja, an ihn. Er hatte auch den Zug zu uns nach Shitomir begleitet. O Gott! Ich fing an zu beten. Alles aus, dachte ich. Und wissen Sie, was geschah? Der Vogel hat mich gerettet. ›Ich bin kein Offizier‹, sagte ich. ›Ich bin ein gelehrter Vogelzüchter‹, und ich zeigte den Vogel. Dann schlug mich einer, wissen Sie, hinter die Ohren und sagte frech: ›Verschwinde, du verdammter Vogelzüchter.‹ So ein frecher Kerl! Ich hätte ihn, als Gentleman, umbringen müssen, aber Sie verstehen schon …«
»Jelena …«, kam es dumpf aus Turbins Schlafzimmer. Jelena drehte sich rasch um und lief hinüber, ohne die Geschichte zu Ende anzuhören.
Dem Kalender zufolge geht die Sonne am fünfzehnten Dezember um drei Uhr dreißig nachmittags unter. Deshalb wurde es schon ab drei Uhr dunkel in der Wohnung. Aber auf Jelenas Gesicht zeigten die Zeiger um drei die bedrückendste Stunde des Lebens – halb sechs. Beide Zeiger hatten die traurigen Fältchen an den Mundwinkeln überschritten und sich am Kinn zusammengezogen. In ihren Augen waren Trauer und Entschlossenheit, gegen das Unglück zu kämpfen.
Nikolkas Gesicht zeigte unsinnige und stachelige zwanzig vor eins, weil in seinem Kopf Chaos und Durcheinander herrschten, hervorgerufen von dem wichtigen und geheimnisvollen Wort »Malo-Prowalnaja«. Ein Wort, das ein Sterbender am Vortag an einer umkämpften Kreuzung gesprochen hat, ein Wort, dessen Sinn in den nächsten Tagen unbedingt herausgefunden werden muß. Chaos und Schwierigkeiten rührten daher, daß der geheimnisvolle und interessante Lariossik wie vom Himmel ins Leben der Turbins gefallen, und auch daher, daß ein ungeheuerliches und gewichtiges Ereignis eingetreten war: Petljura hatte die STADT eingenommen! Jener Petljura – was sagen Sie dazu! – diese STADT. Was jetzt in ihr geschehen würde, war für einen menschlichen Geist, auch für den höchst entwickelten, unmöglich vorauszusehen. Mit Sicherheit ist gestern eine schlimme Katastrophe hereingebrochen – die Unseren sind überrascht und getötet worden. Ihr Blut schreit zweifellos zum Himmel – erstens. Die verbrecherischen Generäle und auch das Stabsgesindel verdienen den Tod – zweitens. Aber mit dem Entsetzen wächst auch das brennende Interesse daran, wie es eigentlich weitergehen wird. Wie werden sie leben, die siebenhunderttausend Bewohner der STADT, unter der Herrschaft dieses geheimnisvollen Mannes, der den schrecklichen und häßlichen Namen Petljura trägt? Wer ist er? Warum? Im übrigen tritt das vorerst in den Hintergrund, verglichen mit dem Wichtigsten, dem Blutigen. Ach, ach … Schrecklich, sage ich Ihnen. Genaues weiß man natürlich nicht, aber
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