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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Myschlajewski und Karausche kann man sicherlich als tot betrachten.
    Nikolka zerschlug auf der glitschigen und fettigen Tischplatte mit einem breiten Hackmesser Eis. Das Eis spaltete sich knirschend oder entglitt dem Hackmesser und sprang durch die ganze Küche. Nikolkas Finger wurden steif. Der Eisbeutel mit dem silbrigen Deckel lag bereit.
    »Malo … Prowalnaja …« Nikolka bewegte die Lippen, und durch seinen Geist huschten die Gestalten Nai-Turs’, des rothaarigen Nero und Myschlajewskis. Als die letzte Gestalt im Mantel mit dem langen Schlitz seine Gedanken durchfuhr, zeigte das Gesicht Anjutas, die in traurigem Halbschlaf verwirrt am heißen Herd hantierte, immer deutlicher fünf Minuten nach halb fünf – eine Zeit der Trauer und Niedergeschlagenheit. Ob die verschiedenfarbigen Augen noch lebten? Wird man je wieder den watschelnden Gang mit dem Sporengeklirr hören?
    »Bring das Eis«, sagte Jelena durch die Küchentür.
    »Sofort, sofort«, antwortete Nikolka hastig, schraubte den Deckel zu und lief hinaus.
    »Anjuta, Liebe«, sagte Jelena, »sag bitte keinem Menschen, daß Alexej Wassiljewitsch verwundet ist. Wenn sie, gottbehüte, erfahren, daß er gegen sie gekämpft hat, passiert ein Unglück.«
    »Ich verstehe, Jelena Wassiljewna. Machen Sie sich keine Sorgen!« Anjuta sah Jelena mit erregten, weit aufgerissenen Augen an. »Wenn Sie wüßten, was in der Stadt los ist, heilige Mutter Gottes! Als ich heute über Boritschew Tok ging, sah ich zwei ohne Stiefel daliegen. Soviel Blut, soviel Blut! Ringsum stehen Menschen und gaffen … Einer hat erzählt, das seien zwei getötete Offiziere. Sie sollten so liegen, ohne Mütze. Mir sind die Beine eingeknickt, im Laufen hätte ich beinah den Korb fallen lassen.« Anjuta zog fröstelnd die Schultern hoch, erinnerte sich an etwas, und sogleich rutschten ihr die Bratpfannen aus den Händen.
    »Leise, leise, um Gottes willen«, sagte Jelena und streckte beschwörend die Hände aus.
    In Lariossiks grauem Gesicht zeigten die Zeiger um drei den höchsten Aufschwung und die höchste Kraft an – genau zwölf Uhr. Beide Zeiger vereinten sich in der mittäglichen Stunde, klebten zusammen und zeigten nach oben wie die Spitze eines Schwertes. Das war so, weil es Lariossik nach der Katastrophe, die in Shitomir seine zarte Seele erschüttert hatte, nach der schrecklichen elftägigen Reise im Sanitätszug und nach all den Aufregungen in der Turbinschen Wohnung sehr gefiel. Was ihm so gefiel, war ihm selbst noch nicht ganz klar.
    Die schöne Jelena schien große Achtung und Aufmerksamkeit zu verdienen. Nikolka gefiel ihm auch sehr. Um dies zu zeigen, benutzte Lariossik den Augenblick, als Nikolka aus Alexejs Zimmer kam, und half ihm das schmale Bett im Bücherzimmer aufstellen und auseinanderziehen.
    »Sie haben ein offenes, sympathisches Gesicht«, sagte Lariossik höflich und sah das offene Gesicht so aufmerksam an, daß er nicht merkte, wie er das komplizierte, rasselnde Bett zusammendrückte und dabei Nikolkas Hand einklemmte. Der Schmerz war so stark, daß Nikolka aufheulte, zwar dumpf, aber dennoch so laut, daß Jelena kleiderraschelnd angelaufen kam. Nikolka, der alle Kräfte anstrengte, um nicht zu schreien, liefen große Tränen aus den Augen. Jelena und Lariossik zogen das automatisch zusammengeklappte Bett mühsam auseinander, um die blau angelaufene Hand zu befreien. Beinah weinte Lariossik selbst, als die gequetschte Hand mit roten Streifen zum Vorschein kam.
    »O Gott!« sagte er und verzog sein ohnehin trauriges Gesicht noch mehr. »Was ist bloß mit mir los? Was bin ich für ein Pechvogel! Tut es Ihnen sehr weh? Verzeihen Sie mir, um Gottes willen.«
    Nikolka stürzte wortlos in die Küche, wo Anjuta ihm einen kalten Wasserstrahl aus der Leitung über die Hand laufen ließ.
    Nachdem das komplizierte Patentbett aufgestellt war und sich herausgestellt hatte, daß Nikolkas Hand nicht ernstlich verletzt war, wurde Lariossik von stiller Freude über die Bücher erfaßt. Außer der Leidenschaft und Liebe für Vögel hatte er eine Leidenschaft für Bücher. Hier in den offenen Schränken mit den vielen Fächern standen in engen Reihen wahre Schätze. Mit grünen, roten, goldgeprägten und gelben Umschlägen und schwarzen Einbänden sahen sie Lariossik von allen vier Seiten an. Längst war das Bett aufgestellt und bezogen, daneben stand ein Stuhl, über der Lehne hing ein Handtuch, auf dem Sitz fand zwischen den verschiedenen für einen Mann notwendigen Sachen –

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