Die weiße Hexe
Begleitung einer angemalten, dicken Frau.“
So lernte ich Mary im Busch bei den verrückten Frauen kennen. Ich schätzte sie auf Mitte Zwanzig. Vielleicht war sie älter oder gar jünger. Sie war jedenfalls sehr ... na ja, eben rund. Typ afrikanische Mammi. Es gibt Frauen, die mag ich von Anfang an. Sie gehörte nicht dazu. Irgendwas war faul an ihr. Sie grinste dauernd von einem Ohr zum andern; ihre Finger waren mit goldenem Schmuck so beladen wie ihr breiter Hals. In Nigeria zeigen die Leute es gern, wenn sie Geld haben. Diese Mary mußte demnach eine Menge Geld haben. Und ich war bleich, staubig und pleite. Ich fühlte mich minderwertig. Während John seinen Bruder aus einer der Hütten trug - laufen konnte Moses nicht mehr -, verabschiedete ich mich mit einer langen Umarmung von Oluwafemi.
„Auf deinen Schultern liegen zu viele Lasten, Ilona“, sagte sie zum Abschied. „Wirf sie ab. Dann findest du deine Balance wieder.“ Sie sah mir in die Augen. „Und verrate niemandem mein Geheimnis.“
Als ich sieben Monate später mit meiner Schwester Monika auf der Reise zu einer Kultstätte der Yoruba einen Besuch bei Oluwafemi machen wollte, fand ich sie nicht wieder. Das Dorf der verrückten Frauen war verschwunden, als wäre es nur ein Traum von mir gewesen.
John hatte den hohen Nissan Patrol tatsächlich irgendwie durch die Savanne bis nahe an das Dorf der Verrückten herangefahren. Bei eingeschalteter Klimaanlage rumpelten wir zum Expressway zurück und dann nach Lagos. John und die dicke Mary saßen vorn, ich mit Schwager Moses hinten. Eine Frage rumorte in meinem Kopf: Woher kamen diese Frau und dieses Auto so plötzlich? Die ganze Zeit über hatten wir uns mit Taxis durchgeschlagen. Und nun ließ John einfach so diese Frau aufkreuzen!
„Mary war sofort bereit, mir zu helfen“, erwiderte er.
Mir. Die Gelobte drehte sich zu mir um und strahlte mich mit ihren schneeweißen Beißerchen an; zwischen den Schneidezähnen klaffte eine breite Lücke. Solch eine Lücke gilt bei nigerianischen Frauen als Zeichen besonderer Schönheit. Himmel, irgendwie kam mir diese Frau bekannt vor ...
Mittag war gerade vorbei, als wir Moses' Haus in Agege erreichten.
John schickte gleich die Jungen los, um einen anglikanischen Priester zu holen. Nun, nachdem alle John bekannten
babalawosvzr- sagt hatten, mußte also die Kirche der Weißen ran.
Ich fand es immer wieder faszinierend, wie man in Nigeria Slalom zwischen den Religionen fährt.
John nahm mich zur Seite: „Ich muß Moses nach Hause bringen.“
„Das kannst du ihm nicht antun!“ rief ich. „In diesem Zustand kann er doch nirgendwo hin!“
„Er hat mich darum gebeten“, sagte John, „er will im Dorf unserer Ahnen sterben. Er ist der älteste Mann in unserer Familie und muß in unserem Elternhaus begraben werden. Unser Glaube will es so.“
Und ich sollte warten, bis John irgendwann wieder auftauchte? Ich beschloß mitzufahren. Auch um John eine ständige Mahnung zu sein, daß es neben dem Jenseits ein Diesseits gab. Mit verrostenden Autos und einer Frau, die nach Deutschland zurückmußte. Wir nahmen den Pick-up, dieses multiple Gartenbauvehikel. In Decken
und Tücher eingewickelt, klemmte der sterbende Moses auf seiner letzten irdischen Reise zwischen dem fahrenden John und mir.
Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich eingelassen hatte! Das erste Stück führte über die Autobahn nach Osten in Richtung Benin City. Ohne Vorwarnung lag ein Minibus quer zur doppelspurigen Fahrbahn; er war einem umgekippten Lastwagen ausgewichen und selbst umgefallen. John konnte den Pick-up, der über altersschwache Bremsen verfügte, nicht rechtzeitig stoppen und rumpelte über den unbefestigten Seitenstreifen. Es knallte, der Pick-up trudelte, wir knallten gegeneinander. Wehklagen brach los: Die Menschen aus dem Bus dachten, Moses wäre durch den Unfall dem Tode so nah. Durch Johns Ausweichmanöver war ein Reifen geplatzt, der geflickt werden mußte.
Ein Weiterfahren auf unserer Seite des Motorways war nicht möglich. „Der Wagen muß auf die andere Autobahnseite“, konstatierte John.
Auf der Autobahn war wenig Verkehr. Trotzdem - eine Geisterfahrt?
Mit einem Sterbenden an Bord? Ein gutes Omen war das nicht gerade ... Der Pick-up wurde auf die entgegengesetzte Spur geschafft. Und weiter ging es. Niemand störte sich an uns. Nur ein einziges Mal hupte uns Geisterfahrer ein anderes Auto an. Da saß bestimmt ein Deutscher drin ...
In Benin City holte John seine
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