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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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älteste Schwester, die rundliche Elisabeth ab, die sich mit Bergen von Taschen auf der Ladefläche einrichtete. Wir fuhren noch eine Weile Autobahn und bogen dann auf holprige, zunehmend schmaler werdende Straßen ab, die nur teilweise asphaltiert waren und sich durch hügelige Landschaft mit dichtem Regenwald schlängelten. Das war die Schatzkammer dieses von Natur aus reichen Landes: Öl und Holz werden hier gewonnen. Nur selten bot sich ein Ausblick aufs weite Land mit seinen Tausenden von Grüntönen. Inmitten der überbordenen Kraft der Natur stachen die dünnen Kamine der Ölförderstellen in die Luft, aus denen meterhohe Flammen schlugen, mit denen das überschüssige Gas abgefackelt wurde.
    Lastwagen, schwer beladen mit Baumstämmen, bretterten rück-86
    sichtslos an uns vorbei und zwangen John immer wieder zum Ausweichen. Es galt das Recht des Stärkeren. Immer wieder befanden sich kleine Dörfer mit winzigen Verkaufsständen und schiefen Hütten in erbarmungswürdigem Zustand am Straßenrand.
    Die Landkarte hatte ich schon bald zusammengefaltet; die Orte, alle namenlos, waren sowieso nicht eingezeichnet.
    Es war später Nachmittag, als wir eine Stadt namens Ughelli erreichten. Der letzte größere Ort, bevor wir endgültig im Hinterland verschwinden würden. Dicht drängten sich die flachen Lehmhäuser mit ihren rostigbraunen Blechdächern, die weit überstanden, damit der Regen die Mauern nicht aufweichte. Die Infrastruktur der Städte hielt dem Wachstum schon damals nicht stand. Es gab zu wenige und zu enge Straßen, die mit Menschen, Autos, Rädern und Tieren vollgestopft waren. Die Straße war gleichzeitig Markt und Autowerkstatt, Kinderhort und Ziegenweideplatz.
    John fuhr hektisch. Plötzlich stand vor uns ein vollbesetzter Bus.
    John zog den Pick-up zur Seite, rammte den Bus aber trotzdem.
    Geschrei, Palaver, ein Mann mit einem blutenden Kopf deutete auf unseren Pick-up. John wollte trotzdem wegfahren, aber die Leute schlugen auf den Pick-up ein, rissen die Tür auf, zogen John aus dem Wagen. Ein Polizist in matschbrauner Uniform schrie auf John ein.
    „Ilona, laß mir Geld da. Und fahr weiter! Ich komme nach!“ rief John mir zu. „Elisabeth kennt den Weg!“
    Dann wurde er in dem Gewühle fortgezogen. Ich fand mich hinter einem riesigen schwarzen Lenkradkranz wieder, einen Halbtoten gegen mich gelehnt, daneben eine Frau, die ich kaum verstand, und draußen grölten die Kinder ihr „öyibö, öylbö!“
    Krachend ratschten die Gänge, nur mit enormem Kraftaufwand ließ sich das mühlradgroße Lenkrad bewegen. Stotternd und hüpfend holperte der Pick-up durch die verstopften Straßen. Ich fuhr natürlich wesentlich langsamer als John, doch für Elisabeths Auffassungsvermögen immer noch zu schnell. Sie schrie immer erst „Stop-stop-stop!“, wenn die fällige Kreuzung schon hinter uns lag. Enge Wege, rechts und links Gräben. Ich schwitzte und wendete das schwerfällige Gefährt. Moses hing längst wie eine leblose Pup-87
    pe in seinen Kleidern, seine Schwester murmelte unaufhörlich vor sich hin, als betete sie.
    Und dann knallte es wieder. Ich kannte das Geräusch, wie ein Schuß. Wieder ein Reifen. Diesmal hinten. Wir hatten zwar einen Ersatzreifen, aber das war der kaputte von der Autobahn. Der Pick-up hatte Hinterradantrieb, es war unmöglich, den Wagen zu bewegen. Ich sah auf die Uhr - zwei Stunden bis zur Dunkelheit.
    Verzweifelt versuchte ich, Elisabeth zu entlocken, wie weit es noch war. Sie sagte viel, lamentierend, weinend, und ich verstand nichts.
    Ich nahm immer neue Anläufe, um sie zu fragen, ob wir laufen könnten.
    Als uns eine Gruppe von Frauen, die wir eine halbe Stunde zuvor überholt hatten, erreichte, fand ich ein Mädchen, das mein Englisch verstand. Ja, sie seien unterwegs nach Ivori-Irri, sagte es. Das war Johns und Moses' Heimatdorf! Gemeinsam bastelten wir eine Trage aus Tüchern, in die wir den bewußtlosen Moses legten.
    Diese seltsame Prozession erreichte Ivori-Irri kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Mir tat jeder Muskel und jeder Knochen im Leib weh. Die Menschen im Dorf umringten uns, beklagten Moses, schwatzten mit Elisabeth. Kinder befühlten meine Kleider und Haare. Ich trottete mit zu einem Haus, in dessen einzigem Raum wir Moses auf den Boden legten. Einige Kerosinlampen ließen die Schatten der Anwesenden zucken.
    Und plötzlich ein heiseres, quietschendes, schroffes Wehklagen
    -Moses hatte seinen letzten Atemzug getan. Ich stand zwischen all diesen

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