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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Menschen, sah auf Moses hinab, der mit halbgeöffneten Augen ins Leere blickte. Der Mann hat seine Ruhe - das war mein einziger Gedanke. Für mich, die ich eine Odyssee hinter mir hatte, interessierte sich niemand. Ich setzte mich irgendwo in einer Ecke auf den Boden, hungrig und durstig. Ich war fix und fertig. Und dann war ich weg. Einfach so.
    Als ich wieder zu mir kam, fielen die ersten Strahlen der Morgensonne durch die einen Spaltbreit offenstehenden Fensterläden. Ich brauchte ein paar Minuten, um die Orientierung wiederzufinden. Verschwommen sah ich eine Gestalt eine Spitzhacke schwingen, mit der sie auf den harten Lehmboden der Hütte einhieb. Ich
    rieb mir den Sand aus den Augen und erkannte, daß es eine hochschwangere Frau war. Drei kleine Mädchen versuchten ungelenk, die herausgelöste Erde mit Schaufeln auf die Seite zu schippen. Abseits davon, als ginge sie die Schwerstarbeit der kahlgeschorenen Schwangeren nichts an, saßen die anderen Frauen, wehklagend.
    Ich erhob mich langsam, als befände ich mich im Zwischenreich von Traum und Wirklichkeit. Eine Schwangere mit drei Mädchen.
    Sollte das etwa ...? Ja, es war Efe. Die Hexe, die ihren untreuen Mann Moses vergiftet hatte. Und so sah ihre Strafe aus: Schwanger und kahlgeschoren grub sie in der Hütte ihres Mannes dessen Grab. Der Leichnam von Moses, in einen spitzenbesetzten weißen Kaftan, eine agbada, gehüllt, lag in einer Ecke des Hauses zwischen den weinenden Weibern.
    Ich weiß nicht, ob Efe ihren Mann wirklich vergiftet hat. Später, als ich mich mit Medizin zu beschäftigen begann, habe ich herausgefunden, daß Moses wahrscheinlich an einem Darmverschluß gestorben ist. Ein entsetzlicher Tod, der Darm platzt, vergiftet den Körper. Ob das nun Hexenwerk war? Efe jedenfalls wurde wie eine Hexe behandelt. Als sie am Abend ein Loch geschaufelt hatte, das so groß war, daß sie selbst darin nicht mehr zu sehen war, holten die Frauen sie aus dem Haus und ritzten ihr mit dem Messer Narben in den Leib. In die offenen Wunden rieben sie Cayenne-Pfeffer. Die angebliche Hexe schrie, ihre Töchter hingen, verzweifelt weinend, an der Mutter. Dann jagten sie Efe mit lautem Geschrei in den nahen Wald davon.
    John war inzwischen ins Dorf nachgekommen. Ich schrie ihn an, er könne doch nicht zulassen, daß seine Schwägerin in den Wald geschickt werde. Aber ich habe nur eine Stimme, das Dorf Hunderte. Und diese Stimmen waren lauter als meine. John hinderte mich daran, Efe zu folgen: „Wenn du ihr jetzt nachgehst, dann glauben alle, daß du selbst eine Hexe bist.“
    Ich wollte zurück nach Lagos. Es war mir egal, wessen Gefühle ich damit verletzte. Hier konnte ich sowieso nur alles falsch machen.
    Selbst wenn Efe an Moses' Schicksal die Schuld trug - was konnte das Ungeborene dafür?
    Moses' Leichnam wurde in dieser Nacht im Boden des Hauses vergraben. Die eigentliche Trauerfeier sollte erst stattfinden, wenn John mich in Lagos abgeliefert hatte und mit viel Geld zurück in Ivori-Irri wäre.
    Zum Abschied nahm mich Johns Mutter in die Arme und schenkte mir ein paar silbrig schimmernde Reifen aus altem afrikanischem Gold. Als Dank, weil ich ihren ältesten Sohn heimgebracht hatte.
    Nach meinem eigenen Wertesystem verdiente ich den Schmuck nicht. Indem ich geholfen hatte, Moses in sein Dorf zu bringen, so dachte ich, war ich indirekt auch an Efes Peinigung schuld.
    John gab meinem Drängen nach. Er hatte es irgendwie geschafft, den Pick-up wieder fahrbereit zu machen. Im Morgengrauen verließen wir Ivori-Irri. Nach einigen Meilen sahen wir ein Bündel Mensch am Wegrand. Ich erkannte den Stoff des Kleides wieder.
    Efe! John wollte einfach weiterfahren, doch ich zog die Handbremse und sprang aus dem Wagen. Efe krümmte sich mit irrem Blick, jammernd und sabbernd, im Staub. Ihr Gesicht und ihr Mund waren blutverschmiert. In den Armen hielt sie einen nackten Säugling, noch in weißer Käseschmiere und voller dunkelrotem Blut. Ein langes Stück Nabelschnur hing von ihm herab - Efe hatte sie in ihrer Not durchbeißen müssen. Ich nahm ihr den Kleinen ab und wickelte ihn in ein sauberes T-Shirt von mir. John sah mich fassungslos an.
    „Wir bringen sie jetzt in ein Krankenhaus!“ schrie ich ihn an. „Sie verblutet sonst. Das kannst du nicht zulassen!“
    Schweigend hievten John und ich Efe auf die Ladefläche des Pick-ups. Ich setzte mich zu ihr und legte ihr den Säugling in die Arme.
    In einem kleinen Krankenhaus nahe Ughelli lieferten wir Efe ab. Die Umstände

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