Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
wie viele Mediziner in einem Fachgebiet tätig sind. Entsprechend häufig werden medizinische Prozeduren in diesem Fachgebiet durchgeführt. Die Nachfrage generiert man – wenn der echte Krankenstand nicht ausreicht – selbst. Angebotsinduzierte Nachfrage in der Medizin. Ein Irrsinn. Dass dabei Menschen zu Patienten gemacht werden, die eigentlich gesund sind, oder dass sie kränker gemacht werden, als sie sind, ist die eine tragische Seite dieses Skandals. Dass damit zig Milliarden Euro aus den knappen Kassen des Gesundheitssystems in die Taschen der weißen Mafia umgeleitet werden, kommt erschwerend hinzu. Ein großer Teil der permanenten Kostensteigerungen im Gesundheitswesen wird uns durch die Ausweitung der kriminellen Nonsensmedizin beschert.
Alle fünf Jahre ein neues Rechnungssystem? Heute: »DRG«
Der Versuch, ausufernde Krankenhauskosten im Zaum zu halten, scheint eine Sisyphosarbeit zu sein. Schon 1936 gab es in Deutschland den ersten staatlichen Eingriff: die »Preisstopverordnung«. Seitdem sucht die Politik händeringend nach regulierenden Konzepten. Die folgende Liste ist nur ein kleiner Auszug aus diesen Bemühungen. Ich habe lediglich die Konzepte aufgeführt, die das Wort »Krankenhaus« explizit im Titel tragen. Es gibt in dem abgebildeten Zeitraum allerdings wenigstens noch einmal so viele Gesetzesvorhaben, die ebenfalls Auswirkungen auf die Finanzierung von Krankenhäusern haben.
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG)
(29.6.1972)
Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz (22.12.1981)
Krankenhaus-Neuordnungsgesetz (20.12.84)
Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben (1996)
Entwurf eines Krankenhaus-Neuordnungsgesetzes (1997)
Gesetz zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz FPG, 1.1.2003)
Bei einem meiner Besuche beim MDK, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, hörte ich dazu eine krasse Einschätzung. Mit Bezug auf die wechselnden Abrechnungstechniken und Finanzierungskonzepte für die Krankenhäuser sagte der MDK-Länderchef zu mir: »Es ist eigentlich egal, wie Sie die Finanzierung der Krankenhäuser gestalten. Hauptsache, Sie wechseln das System spätestens alle fünf Jahre.« Wir hatten erst wenige Minuten zuvor darüber gesprochen, dass so ein Systemwechsel unglaublich viel Geld kostet und eine kaum vorstellbare Arbeitslast erzeugt. Mitarbeiter schulen, Software kaufen … Und das in über 2000 Krankenhäusern, die sich auf die Neuerungen einstellen müssen. Also verstand ich nicht, was er damit sagen wollte: »Alle fünf Jahre wechseln.« Er sah meinen fragenden Blick und erklärte dann: »Na ja, nach fünf Jahren kennen die Krankenhäuser alle Tricks, um das neue Abrechnungssystem zu hintergehen.«
Das sind Statements, die Sie als Journalist von »hohen Würdenträgern« aus dem medizinischen System nicht häufig bekommen. Und das ausgerechnet aus den Reihen des MDK, der seiner Arbeit in der Regel am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit nachgeht. Der MDK ist nämlich in einer heiklen Mission unterwegs: Er ist der Kettenhund der Krankenkassen. Er kontrolliert die Abrechnungen der Krankenhäuser. Obwohl es hier um die Überprüfung von rund zwei Millionen Krankenhausabrechnungen jedes Jahr geht, weiß in der Bevölkerung kaum jemand von dieser Einrichtung. Die zwei Millionen Rechnungen sind die 12 Prozent der insgesamt 17,5 Millionen Krankenhausrechnungen jedes Jahr, die den Krankenkassen »am meisten verdächtig« erscheinen. Die Krankenkassen filtern diese zwei Millionen Rechnungen mit einer speziellen Software aus der Sammlung der elektronischen Datenblätter der Krankenhäuser heraus. Die Kassen geben diese Daten an den Medizinischen Dienst, der seinerseits Fachmediziner damit beauftragt, die Rechnungen zu überprüfen. Letztlich geht es darum, ob die angesetzten Behandlungen und die dadurch verursachten Kosten mit den medizinischen Daten auch wirklich zu begründen sind. Das ist freundlich formuliert. In anderen Zusammenhängen würde man sagen: Es geht um Abrechnungsbetrug. Aber hier hat man sich auf die offizielle Sprachregelung geeinigt: »Die Materie ist sehr komplex. Die Mediziner haben viel Arbeit. Da kommen Fehler eben vor.« So sind Kassen und Krankenhäuser öffentlich freundlich zueinander. Tatsächlich streiten sie permanent ums Geld. Denn etwa die Hälfte der überprüften Daten wird als Falschabrechnung reklamiert. 23
Das falsche Anreizsystem
Das letzte große Reformvorhaben, die Umstellung der
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