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Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
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Krankenhausfinanzierung auf Fallpauschalen, war finanziell nicht erfolglos. Für die Patienten war es nach meiner Einschätzung aber die schlimmste Reform, die es jemals gab. Was ist passiert? Bis zum Jahr 2003 wurden die Krankenhäuser im Wesentlichen über die Aufenthaltsdauer der Patienten finanziert. Man muss bei den Finanzierungsmodellen immer fragen, welche Anreize sie Kliniken geben, die mit diesen Finanzierungsmodellen arbeiten müssen. Beim alten System war das ganz klar: Je länger die Patienten in der Klinik blieben, desto mehr konnte abgerechnet werden. Das war für die Kliniken eine komfortable Situation. Durch die Belegung der Betten waren die Erträge in gewissen Grenzen gut zu steuern. Dass damit Betten im Schnitt länger als medizinisch nötig belegt wurden, versteht sich von selbst. Das war eben der damals gängige Abrechnungsbetrug. Der Schaden für die Patienten hielt sich aber in Grenzen. Zwei Tage länger als nötig im Krankenhaus verbringen: Selbst wenn die Verpflegung in der Regel miserabel ist – das kann man verkraften.
    Aber so konnte es nicht bleiben. Den anderen Mitspielern im Gesundheitssystem gefiel es nicht, dass Geld für sinnlose Liegetage im Krankenhaus versickerte. Und so dachten die Reformer sich diesmal ein Fallpauschalensystem aus bzw. übernahmen dieses aus den USA und modifizierten es. Damit werden seit 2003 (mit einer Übergangszeit) nur noch medizinische Prozeduren bezahlt, die in der Konsequenz einer medizinischen Diagnose anfallen. Das ist unser derzeitiges Abrechnungsmodell: das DRG-(Diagnosis Related Group-)Modell. Die Krankenhäuser sollen nur noch Geld bekommen für medizinisch motivierte Behandlungen. Das hört sich ganz vernünftig an. Ist aber – wie wir gleich sehen werden – verdammt gefährlich.
    Diesen Behandlungen sind auch bezahlte Liegetage auf Station zugeordnet. Also Übernachtungen im Krankenhaus. Von 2000 bis 2010 hat sich durch diesen »Kniff« die durchschnittliche Liegedauer in deutschen Krankenhäusern von 9,7 auf 7,8 Tage verkürzt. Das sind 20 Prozent weniger. Wirtschaftlich sicher ein Erfolg. Allerdings hat sich in der Folge dieser Reform ein Begriff etabliert, den es im alten System nicht gab: »blutige Entlassung«. Das hässliche Wort steht für die Tatsache, dass Kliniken ihre Patienten am liebsten spätestens dann entlassen, wenn sie die Liegetage »aufgebraucht« haben, die ihnen nach dem DRG-System zustehen. Möglichst schon früher. Dann steigt der Gewinn. Dass es viele Patienten gibt, die nicht in diese Norm passen, ist ein unschöner Nebenaspekt der Regelung. Die »blutige Entlassung« trifft vor allem ältere Patienten, deren Regenerationskräfte nicht mehr so gut sind wie die der jüngeren. Das ist eine böse Ungerechtigkeit. Einer von mindestens zwei gravierenden Missständen, die auf das Konto des DRG-Systems gehen.
Blutige Entlassung und upcoding
    Für die Patienten kann es verheerend sein, dass mit dem Fallpauschalenmodell medizinische Leistungen zum Maßstab der Bezahlung gemacht werden. Denn für Krankenhäuser wird mit diesem Finanzierungsmodell ein Anreiz geschaffen, Patienten mit mehr Aufwand zu behandeln, als ihre Erkrankung es eigentlich erfordern würde. Das alte Finanzierungsmodell führte zu unnötig langen Liegezeiten. Das neue Modell führt zu unnötigen Behandlungen. Was wäre Ihnen lieber?
    Beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen hat man mir erklärt, wie die Krankenhäuser ihren Ertrag maximieren. Upcoding heißt das Zauberwort, das dafür sorgt, dass es in den Kassen der Krankenhäuser klingelt. Speziell geschulte Mitarbeiter codieren in den Kliniken die Krankenfälle. Zunächst natürlich nach der Vorgabe der ärztlichen Diagnose. Die Mitarbeiter, die Codierer, ordnen den Diagnosen Gruppen von medizinischen Prozeduren zu, für die es Punkte im DRG-System gibt. Für aufwendigere Behandlungen gibt es natürlich mehr Punkte als für einfachere Prozeduren. Für die Punkte bekommen die Kliniken Geld von den Kassen und für mehr Punkte gibt es natürlich mehr Geld. Ein fataler Anreiz mit bösen Folgen für das Geschäft mit der Codierung: So wird aus einer aufsteigenden Harnwegsinfektion gerne eine akute Blasenentzündung gemacht. Das gibt mehr Punkte. Die Übergänge sind hier ohnehin fließend. Leider passiert das nicht nur auf dem Papier. Denn dann müssten sich täglich Hunderttausende Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger am Betrug beteiligen: Weniger behandeln, als in den Unterlagen verzeichnet ist, wäre

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